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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Bahr, Hermann: Dialog vom Marsyas
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0393

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DIALOG VOM MARSYAS

KUGELKRONE MIT SECHS PENDELN RICH. L. F. SCHULZ

als sein Werk den Menschen bringt, ärmer
zurückbleibt". — Wir geben aus dem
feinen Buch folgenden Abschnitt wieder:

„Nun hast du eine lange Einleitung gemacht,"
sagte der Künstler, „nur um mir anzudeuten, wie
wenig dir meine Werke, die du zu loben bis-
weilen so freundlich warst, doch eigentlich sind,
was ich übrigens schon längst mitunter gefühlt
habe."

„Du irrst", sagte der Meister. „Deine Werke
gefallen mir wirklich. Das ist es nicht. Aber
etwas anderes habe ich dir verschwiegen, nicht
um dich zu schonen, wie du mißtrauisch meinst,
sondern um dich nicht an dir irrezumachen.
Hoffentlich bist du jetzt aber so weit, es zu ver-
tragen. Nun denn: deine Werke sind mehr als
du. Und ich fürchte, das sollten sie nicht. Ich
kenne dich doch jetzt seit Jahren und sehe dir
zu. Immer, wenn du ein neues Werk bringst,
wundert es mich, wie reifer es dich wieder zeigt.
Bin ich aber dann mit dir, so finde ich densel-

ben, der du warst. Deine Werke wach-
sen, du nicht. Nun kannst du sagen,
das wisse doch nur, wer dich persön-
lich kennt: deine Werke gehen aber in
die Welt zu fremden Menschen hinaus.
Da fragt sich nun nur, ob es nicht auch
diese merken müssen, nicht bloß wer
dich kennt. Ich habe den Verdacht, daß
Werke, welche mehr sind, als ihr Künst-
ler ist, dies durch irgendeinen versteck-
ten Zug dem Kenner verraten, einen
Zug von schmerzlicher Verstellung und
hastiger Bemühung, an dem er ihr
schlechtes Gewissen merkt. Gerade von
den ganz großen Künstlern unserer Zeit
weiß ich kaum ein Werk ohne diese
Grimasse von geheimer Angst, als ob sie
es nicht aushalten könnten und im näch-
sten Augenblick reißen würden. Wie dem
aber auch sei, worüber wir ein anderes
Mal reden mögen, schlimmer noch ist
für mich, daß ich sie nicht sehen kann,
ohne an den Künstler zu denken und
mich zu fragen: was muß der arme Kerl
dazu gelitten haben! Ich weiß nicht, ob es

WANDARM MIT LATERNE. RICH. L. F. SCHULZ

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