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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Kühnel, Ernst: Die Entwicklung des Orient-Teppichs
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0541

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DIE ENTWICKELUNG DES ORIENT- TEPPICHS

so regelmäßig zu knüpfen, wie in der
besten Zeit (aus der übrigens manche
hervorragend schönen Stücke von ziem-
lich liederlicher Arbeit erhalten sind),
aber die künstlerische Qualität eines
Teppichs wird doch schließlich nicht
durch die Zahl der Knoten, sondern
durch Farbe und Muster bestimmt!

Schon bei den Polen-Teppichen
melden sich gelegentlich Zeichen des
Verfalls. So wurde z. B. bei einem in
der Münchener Residenz aufbewahrten
Stücke der bei dieser Gruppe seltene
Tierdekor zwar korrekt gezeichnet, aber
nicht in der üblichen symmetrischen
Gegenständigkeit, sondern in zwei
identischen Längsstreifen komponiert
— eine für Knüpfteppiche ganz stil-
widrige Anordnung, die den per-
sischen Brokatstoffen jener Zeit ent-
lehnt ist (Abb. 17). In der Borte ver-
mißt man die Reziprozität, die für die
klassische Periode bezeichnend ist, —
den Wechsel in der Orientierung des
Leitornaments. Die indischen Teppiche
des 18. Jahrhunderts, die meist natu-
ralisierende Pflanzenmuster aufweisen,
sind ebenfalls stark unter dem Einfluß
der damaligen Seidenweberei und folgen
wie diese dem Gesetz des unendlichen
Rapports eines isolierten, in sich ge-
schlossenen Gebildes, einer Blüten-
staude, einer Blumendolde oder dergl.

Etwa seit 1700 dringt in Persien der
in den Manufakturen zur Neige gehende
Dekorationsstil auch in die Volkskunst.
Natürlich verstand man die Bedeutung
der einzelnen Motive ebensowenig wie
die Prinzipien, nach denen sie gruppiert
waren, dann war man auch nicht
imstande, das raffinierte Farbenspiel
und die vielen Feinheiten der Zeichnung
wiederzugeben; man begnügte sich also
mit einer bescheidenen Auswahl aus
dem Formenschatz und suchte diese
in einen einigermaßen plausiblen Zu-
sammenhang zu bringen. So ent-
standen die ebenso primitiv wie deka-
dent anmutenden Nachläufer der
Safidenteppiche, kindlich in Erfindung Abb. 18: später tierteppich, persien, anfang is, jahrh.
und Komposition, derb und eckig in (Kaiser friedrich-museum, Berlin.)

der Zeichnung und schon etwas verwahr-
lost in der Farbe (Abb. 18). Sie zeigen groteskes beiten vermag noch heute selbst gewiegte
Viehzeug, tannenbaumartige Zypressen, klotzige Kenner manchmal so zu bestechen, daß diese sie
Palmetten und naive Arabesken, alles un- unbedenklich den sogenannten armenischen
geschickt proportioniert, aber gewissenhaft nach Tierteppichen gleichstellen — ein Nonsens, den
den Regeln der Zunft in strengste Symmetrie jeder einsehen muß, der sich einigermaßen in
gesetzt. Der urwüchsige Charakter dieser Ar- die Materie vertieft hat.

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