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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Lorenz, Felix: Die Darmstaedter Ausstellungen 1914
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0710

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DIE DARMSIAEDJER AUSSTELLUNGEN 1914

waren. Auch die Schweiz hat unbekannte und
vortreffliche Schätze hergegeben.

Bisher stand historisch und kritisch über
die deutsche Malerei des Barock und Rokoko
zweierlei fest: daß sie erstens vorwiegend im
Porträt dominierte und daß sie zum andern
den stärksten Einflüssen von Holland, Frank-
reich und England ausgesetzt war. Das erste
Urteil mag weiter zu Recht bestehen, denn in
der Tat zeigt auch die Darmstädter Ausstellung
wieder, daß die aristokratische Tendenz dieser
ganzen Epoche immerfort auf die repräsentative
Wiedergabe der eignen Persönlichkeit ausging.
Es ist kein Wunder, wenn sich bei dieser, das
Attribut und die Dekoration in den Vordergrund
rückenden, an Zahl unabsehbaren Porträtmalerei
die Konvention breitmachte. Aus der Masse
der Konvention hebt sich aber auch genug
Edelgut heraus, das hier mit Freude genossen
werden kann. Dabei ergibt sich denn, daß die
zweite Voraussetzung eines unbedingten Ein-
flusses der damals führenden Kunstländer auf
das kulturell arg zusammengebrochene Deutsch-
land nicht ganz zutreffend bleibt, denn bei dem
Studium manches vergessenen Meisters und
seines Werkes ergiebt sich hier auch manche
Ueberraschung. Immer wieder tauchen höchst
bemerkenswerte Ansätze auf, aus dem Her-
gebrachten los- und zu eigenem Ausdruck
emporzukommen; zuweilen steht man verblüfft
vor einer Modernität des Empfindens, die nur
vorzeitig in Romantizismus oder Klassizismus
erstickt wurde. Die altmodische Technik ver-
schwindet ganz, wenn man nur den großen
geistigen Gehalt mancher Porträtdarstellungen
auf sich wirken läßt, die auch an Stärke des
malerischen Ausdrucks heute noch kaum über-
boten wurden. So bei dem eindringlichsten
aller deutschen Porträtisten des 18. Jahrhunderts,
bei Johann Georg Ziesenis, den noch vor
wenigen Jahren kein Mensch kannte. Der
unerbittliche Ernst seiner Kunstaufassung kommt
hier in mehr als dreißig Männer- und Frauen-
bildnissen (meist Fürstlichkeiten) zu einer von
aller Mache freien, Tiefe und Größe atmenden
Verkörperung. Hier ist reine Natur, von Kunst
durchdrungen; Abhängigkeit wird kaum emp-
funden. Besonders interessant ist ein Porträt
des alten Fritzen aus dem Provinzial-Museum
zu Hannover; es gilt als das einzige, zu dem
der König während seiner Regierungszeit wirk-
lich Modell gesessen haben soll. Unter den
wundervoll beseelten Frauenbildnissen stehen
die Gräfin Barbara Eleonore von Schaumburg-
Lippe und die Prinzessin Elisabeth von Braun-
schweig an erster Stelle.

Eine starke Malernatur steckte auch in dem
Hamburger Balthasar Denner, der mit

einigen der besten Arbeiten vertreten ist. In
seinen Bildnissen holt er das Persönliche her-
aus, ohne einen dekorativen Zug ganz auf-
zugeben; höchst bemerkenswerterscheinen mir
seine Fruchtstücke, die fast impressionistisch
gemalt sind. Unter den übrigen Porträtisten
treten der bayerische Hofmaler Georg Des-
marees (ein Ahne von Hans v. Marees), der
Halbungar Joh. Kupetzky, die beiden
L a m p i mit ihren Bildnissen russischer Fürst-
lichkeiten, der am Schweriner Hofe tätig ge-
wesene M a 11 h i e u, der Süddeutsche Oelen-
h a i n z, der Wiener Anton Maron und die
Berliner Malerfamilie Lisiewski hervor -
allesamt tüchtige Könner, von denen einige
allerdings dem Geschmack des französischen
Rokoko dienstbar sind. Der elegante Füger,
ein Schwabe, ist wiederum von den großen
Engländern abhängig, und bei dem Schleswiger
Ovens, dem Königsberger Michael Will-
mann wirkt der üppige Rubensgeist unver-
kennbar nach. Dennoch sind alle diese Namen
als die wichtigster Repräsentanten des inter-
nationalen Geistes, der im achtzehnten Jahr-
hundert das Kunstschaffen Europas erfüllte, im
Gedächtnis zu behalten, und es ist von größtem
Interesse, ihre Beziehungen untereinander zu
verfolgen, ihre Wirkungsbahnen aus dem Ge-
schaffenen abzulesen. Auch in der erzählenden
Malerei, namentlich wenn es sich um geschicht-
liche und biblische Stoffe handelt, sind Einflüsse
zu verzeichnen, so bei dem Deutschböhmen
Anton Kern und dem Tiroler P 1 a t z e r, auf
deren Bildern die italienische Spätrenaissance
nachklingt, so bei einem andern Tiroler,
Untersberger, der Tiepolo emsig studiert
haben muß. Stilmischungen origineller Art
verraten auch der Hamburger Scheits und
der im Rheinland tätig gewesene Januarius
Z i c k.

Die uns längst vertrauten und kunstkritisch
auch längst abgeschätzten Porträtisten der Ro-
kokozeit: die vielbeschäftigten Anton Graft,
Pesne, die Tischbeins, Raffael Mengs,
Angelica Kauffmann sind mit einer großen
Reihe ihrer Arbeiten vertreten; hier ist auch
vieles, was wenig oder gar nicht bekannt war,
zum Vorschein gekommen. Von den Land-
schaftern behaupten sich zwei (neben vielem
Durchschnitt) am stärksten: es sind der
Schweizer Salomon Geßner, ein berufener
Vorläufer Böcklins (die Literatur-Geschichte
kannte ihn bisher nur als Idyllendichter) und der
Mannheimer Ferdinand Kobell. In der
Großzügigkeit seiner Gebirgs- und Waldbilder
erscheint dieser als der Bracht seiner Zeit.

Die Reichhaltigkeit der Ausstellung ist auch
sonst erstaunlich. Bedeutendes findet sich

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