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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Ein Bilderbuch aus dem alten Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0737

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EIN BILDERBUCH AUS DEM ALTEN WIEN

PARTIE AUS DEM SCHLAFZIMMER DES HERRN EM. JOS. MARGOLD-DARMSTADT.

ENTW.: AUCH. EM. JOS. MARGOLD-DÄRMSTADT.

entgegenharrten und ich unterdessen am Fenster
stehend mich in der Gegend umsah, gewahrte
ich unter demselben gegenüber ein großes
Kruzifix, wie dergleichen in Böhmen und
Schlesien an den Landstraßen genug zu sehen
sind, unter welchem eben einige Gänse weideten,
andere ausruhten. Immer den Kopf voll von
lateinischen und griechischen Vokabeln, rief ich
auf einmal aus: Anseres Christicolae! Goethe
kam, sah, lächelte und wiederholte mit seinem
gewöhnlichen asserierenden und gutheißenden
Tone, wie ein Responsorium : Anseres Christi-
colae! Ein Geschäft, am Wagen etwas zu unter-
suchen, nötigte mich, hinauszugehen; bei meiner
Rückkehr fand ich ein hübsch komponiertes
Bildchen mit der Feder gezeichnet, eben jene
andächtigen Gänschen, das mich nicht wenig
überraschte und erfreute. Es wurde hierauf
mit etwas Biester und Tusche angewaschen,
und ist noch unter seinen Zeichnungen mit
obiger Unterschrift Anseres Christicolae anzu-
treffen". Aus den Tagebüchern (IV, 652, Z 8)
läßt sich sogar der Tag feststellen „19. Mai
1810 bis Zwota. Daselbst zu Mittag gegessen.
Anseres Christicolae".

Die Unterschrift Anseres Christicolae ist, ver-

mutlich aus Besorgnis, Anstoß zu erregen,
weggeschnitten worden, bevor das Blatt - als
Geschenk Ottiliens ■ in den Besitz meines
Vaters kam, und so präsentiert es sich nun,
sauber auf graues Papier aufgezogen und in
einem hübschen alten Muschelrahmen, ganz
unschuldig und nichts weniger als blasphemisch
— so wie es ja auch ursprünglich als harm-
loser Scherz gemeint war.

Ein sehr hübscher Aquarellkopf trägt die
Signatur „Valerio". Der Name klingt heute
fremd ins Ohr, war aber um die Mitte des
vergangenen Jahrhunderts den Kunstfreunden
wohlbekannt. Theodore Valerio, im Jahre 1819
zu Herserange, im Moseldepartement, geboren,
machte schon als junger Mann große Reisen,
besuchte den Orient, namentlich aber die da-
mals noch sehr schwer zugänglichen süd-
ungarischen und südslavischen Länder der
Monarchie, wo er Volkstypen und -trachten
malte, gelegentlich auch radierte. Von seinen
Aquarellen besitzt der Louvre eine ganze Reihe,
ebenso Kaiser Franz Josef; König Friedrich
Wilhelm von Preußen, an welchen Humboldt
und Carus den Künstler empfohlen hatten,

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