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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Lindemann, Ernst: Amsterdamer Eindrücke
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0747

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AMSTERDAMER EINDRÜCKE

Wir dringen in die südliche Altstadt
weiter vor, immer die Kanäle entlang. Das
Straßenbild wird auf einmal bewegter. Auf
Frachtkähnen ein unentwirrbarer Knäuel
alten Plunders — Lumpen, Gerümpel aller
Art, zerbrochene Tassen, Teller, Gläser,
altes Eisen, Kupfer, Messing.

Dann stehen wir wieder auf einer
Brücke. Im letzten Abendschimmer dieselben
schwärzlichen, rauchigen Häuser, noch
höher, schmäler. Vor uns, seitwärts ein
wirres Getöse. Einzelne Rufe klingen auf,
schrillen hinein in eine enge Gasse. Auf
verfallenen Treppenstufen hocken, liegen,
stehen Männer und Frauen. Vor halbblin-
den und zerbrochenen Fensterscheiben
blasse Köpfe mit schwarzen, blitzenden
Augen. Auf der Straße ein Geschiebe von
Menschen. Spielende, sich balgende Kinder-
haufen, buntfarbig, hell vor dunklem Ge-
mäuer. Ein Hin und Her, Auf und Ab
sprühender Farbenfetzen. Wir drängen uns
durch. Feindselige, höhnische Blicke! Ueber-
au starrender Schmutz; Abfälle undefinier-
barster Art auf dem schlüpfrigen Pflaster.
Verkäufer mit Fleisch, Fischen, Gemüse.
Pestilenzialischer Gestank benimmt den
Atem. Dann ein rotes Glühen: Kirschen,
Johannisbeeren zwischen grünen Salat-
blättern. Aus tiefen, dunklen Kellerlöchern
ein Aufgleißen wie von blinkendem, goldig
schimmernden Metall, von grüner, roter,
blauer Seide, die schillernd ineinanderfließt.
Dicht vor uns ein grelles Farbendurchein-
ander: ein Haufen schwatzender, lebhaft
gestikulierender Weiber, die sich um einen
Gemüsewagen drängen. Mitten darin eine
breite, massige Figur ganz in leuchtendem
Rot mit gelbem Schultertuch. Unwillkürlich
formen unsere Lippen einen Namen: Rem-
brandt. Wo sahen wir ein ähnliches Rot, ein
Gold, nur verhalten glühender, beseelter?
Vor unseren Augen eine Vision auf dunkel-
goldigem Grund: die Judenbraut. Wir fra-
gen nicht mehr, wir wissen es jetzt, warum
der Maler und Radierer Rembrandt eigent-
lich nur hier leben und arbeiten konnte —
hier in dieser phantastischen Welt mit ihrem
südlichen Farbenzauber, der magisch auf-
glüht auf der düsteren Häuserfolie des Am-
sterdamer Judenviertels.

Seltsam kontrastiert diese Welt mit dem
Holland, wo alles wie in Silber getaucht ist.
Das Grün weiter Wiesen, das Wasser der
Kanäle, das Laub alter Weiden an den Ufern,
das Meer, die Dünen, die kleinen, schum-
merigen Innenräume. Die besten Maler aus
neuerer Zeit malten sie so: A. Mauve,
S. Israels und vor allem W. Maris. Und

AUSSTELLUNG DER DARMSTÄDTER KUNSTLERKOLONIE
WANDLEUCHTER, MESSING. BUB MIT GUIRLANDE
PROF. ERNST RIEGEL-CÖLN

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