DIE NEUE RICHTUNG
LANDHAIS W. ZIMMERMANN IN ZEHLENDORF.
GRVNDRISS. ARCH.: HANS KRETZSCHMAK
in die rechte Ecke oben einen Kopf, mit der Augen-
richtung zum Rumpf hin, und nannte das Bild
„Selbsterkenntnis", bei welcher Betitelung es un-
gewiß blieb, ob der Kopf seinen zugehörigen Rumpf
selbst erkannte, oder ob die Selbsterkenntnis in der
Kopflosigkeit bestand,
Nachdem die freunde etwa zwei Dutzend
solcher Bilder geschaffen hatten, entstand die Frage:
Wohin damit? In Paris konnten sie unmöglich aus-
stellen. Die Intriguen der vereinigten Kubisten,
Futuristen und Neo-Neo-Impressionisten würden es
nicht dahin kommen lassen. Sie beschlossen daher,
nach Berlin zu gehen. Es kam ihnen zustatten,
daß Meunier von Geburt Elsässer war.
Und siehe, in Berlin war das Glück ihnen hold!
Die Freunde bezogen ein Quartier in einer
Seitenstraße der Friedrichstraße mit einem gemein-
samen Atelier im Dachstock. In der zweiten Woche
ihres Berliner Aufenthalts schritten sie von ihrem
Mittagessen heim durch die Friedrichstraße. Vor
ihnen her ging eine überaus chic angezogene,
jugendliche Dame. Plötzlich sahen sie, wie ein Mann,
der ihnen von der anderen Seite entgegenkam, drei
Schritte vor der Dame seine Augen rollte, in die
Tasche fuhr, ein langes Messer hervorholte und es
gegen das Haupt der Dame schwenkte, Diese schrie
entsetzt auf, wandte sich um und fiel in Piquarts
aufgehaltene Arme. Meunier und Roche sprangen
auf den Messerschwinger zu und entwaffneten ihn.
Inzwischen waren auch zwei Polizisten herangeeilt,
die mit ihm und seinem Messer von dannen zoo-en
Später stellte sich heraus, daß dieser Mann, ein
ehemaliger Händler in Leberpasteten, es gar nicht
auf das Leben der Dame abgesehen hatte, sondern
nur auf ihre Hutkrempe, die von beträchtlicher Aus-
dehnung war. Seine Frau hatte die herrschende
Mode des reichlichen Hutumfangs dazu ausgenützt,
bei Picknicks im Freien und anderen Gelegenheiten
im Schutze ihres Hutes mit den Freunden ihres
Gatten Zärtlichkeitsbezeugungen zu tauschen, bis
dieser einmal dahintergekommen war, Das hatte
ihm das Hirn in Unordnung gebracht. Seitdem ging
er auf der Straße umher, ein langes Messer im Ge-
wände, in Bezug auf Damenhutkrempen ähnlich dem
Leu, der da suchet, welchen er verschlinge.
Die junge Dame, die überaus hübsch war,
weinte infolge ihres Schrecks unaufhaltsam. Die
Freunde baten sie, sich in ihrer Wohnung erst ein
wenig zu erholen, und führten die Willenlose die
wenigen Schritte bis zu ihrem Hause und in ihr
Atelier hinauf.
Als sie ein wenig zu sich gekommen war und
erst anfing sich umzublicken, wich vor den Bildern
auf den Staffeleien ihre Angst und Aufregung aller-
dings sofort und machte einer sehr heiteren Seelen-
stimmung Platz. Man plauderte noch eine Viertel-
stunde gemütlich über die ..Apaches de Berlin",
dann bat sie, ihren Bräutigam, den Kunsthändler
Sigmund Meyer, herbeizuholen, der nur fünf
Minuten entfernt wohnte.
Roche machte sich auf und kam nach zehn
Minuten mit Sigmund Meyer, einem korpulenten und
etwas kurzatmigen Herrn, zurück. Die Dame
machte ihn mit den Künstlern, die sie aus den
Händen eines Mörders gerettet hatten, bekannt. Herr
Meyer war furchtbar aufgeregt.
Beim Weggehen ließ die Dame ihnen ihre Karte
da und erklärte, sie sei jeden Tag zwischen zwölf
und eins zuhause und würde sich sehr freuen, wenn
sie sich ihnen irgendwie erkenntlich erweisen könnte.
Die Freunde waren entschlossen, diese Chance
zu ergreifen. Schon am nächsten Tage machten sie
Fräulein Erna Klenke — so hieß die Dame — ihren
Besuch und baten sie, sich dafür zu verwenden, daß
Herr Meyer ihre Bilder ausstelle.
Meyer sträubte sich erst energisch. Er erklärte,
daß er sich als Kunsthändler dadurch für alle Zu-
kunft unmöglich machen würde. Nachdem Erna ihm
aber ruhig bedeutet hatte, daß sie. falls ihr diese
Art, sich erkenntlich zu zeigen, versagt würde, ihrer
Dankbarkeit durch Uebertragung ihrer Zuneigung
auf „Monsieur Piquart" genügen würde, der ihr
übrigens viel besser gefalle, gab Aleyer nach und
war zum Ausstellen der Bilder bereit.
An einem wundervollen Junitage wurde im
Salon Sigmund Meyer die Ausstellung der Hallu-
zinisten eröffnet.
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LANDHAIS W. ZIMMERMANN IN ZEHLENDORF.
GRVNDRISS. ARCH.: HANS KRETZSCHMAK
in die rechte Ecke oben einen Kopf, mit der Augen-
richtung zum Rumpf hin, und nannte das Bild
„Selbsterkenntnis", bei welcher Betitelung es un-
gewiß blieb, ob der Kopf seinen zugehörigen Rumpf
selbst erkannte, oder ob die Selbsterkenntnis in der
Kopflosigkeit bestand,
Nachdem die freunde etwa zwei Dutzend
solcher Bilder geschaffen hatten, entstand die Frage:
Wohin damit? In Paris konnten sie unmöglich aus-
stellen. Die Intriguen der vereinigten Kubisten,
Futuristen und Neo-Neo-Impressionisten würden es
nicht dahin kommen lassen. Sie beschlossen daher,
nach Berlin zu gehen. Es kam ihnen zustatten,
daß Meunier von Geburt Elsässer war.
Und siehe, in Berlin war das Glück ihnen hold!
Die Freunde bezogen ein Quartier in einer
Seitenstraße der Friedrichstraße mit einem gemein-
samen Atelier im Dachstock. In der zweiten Woche
ihres Berliner Aufenthalts schritten sie von ihrem
Mittagessen heim durch die Friedrichstraße. Vor
ihnen her ging eine überaus chic angezogene,
jugendliche Dame. Plötzlich sahen sie, wie ein Mann,
der ihnen von der anderen Seite entgegenkam, drei
Schritte vor der Dame seine Augen rollte, in die
Tasche fuhr, ein langes Messer hervorholte und es
gegen das Haupt der Dame schwenkte, Diese schrie
entsetzt auf, wandte sich um und fiel in Piquarts
aufgehaltene Arme. Meunier und Roche sprangen
auf den Messerschwinger zu und entwaffneten ihn.
Inzwischen waren auch zwei Polizisten herangeeilt,
die mit ihm und seinem Messer von dannen zoo-en
Später stellte sich heraus, daß dieser Mann, ein
ehemaliger Händler in Leberpasteten, es gar nicht
auf das Leben der Dame abgesehen hatte, sondern
nur auf ihre Hutkrempe, die von beträchtlicher Aus-
dehnung war. Seine Frau hatte die herrschende
Mode des reichlichen Hutumfangs dazu ausgenützt,
bei Picknicks im Freien und anderen Gelegenheiten
im Schutze ihres Hutes mit den Freunden ihres
Gatten Zärtlichkeitsbezeugungen zu tauschen, bis
dieser einmal dahintergekommen war, Das hatte
ihm das Hirn in Unordnung gebracht. Seitdem ging
er auf der Straße umher, ein langes Messer im Ge-
wände, in Bezug auf Damenhutkrempen ähnlich dem
Leu, der da suchet, welchen er verschlinge.
Die junge Dame, die überaus hübsch war,
weinte infolge ihres Schrecks unaufhaltsam. Die
Freunde baten sie, sich in ihrer Wohnung erst ein
wenig zu erholen, und führten die Willenlose die
wenigen Schritte bis zu ihrem Hause und in ihr
Atelier hinauf.
Als sie ein wenig zu sich gekommen war und
erst anfing sich umzublicken, wich vor den Bildern
auf den Staffeleien ihre Angst und Aufregung aller-
dings sofort und machte einer sehr heiteren Seelen-
stimmung Platz. Man plauderte noch eine Viertel-
stunde gemütlich über die ..Apaches de Berlin",
dann bat sie, ihren Bräutigam, den Kunsthändler
Sigmund Meyer, herbeizuholen, der nur fünf
Minuten entfernt wohnte.
Roche machte sich auf und kam nach zehn
Minuten mit Sigmund Meyer, einem korpulenten und
etwas kurzatmigen Herrn, zurück. Die Dame
machte ihn mit den Künstlern, die sie aus den
Händen eines Mörders gerettet hatten, bekannt. Herr
Meyer war furchtbar aufgeregt.
Beim Weggehen ließ die Dame ihnen ihre Karte
da und erklärte, sie sei jeden Tag zwischen zwölf
und eins zuhause und würde sich sehr freuen, wenn
sie sich ihnen irgendwie erkenntlich erweisen könnte.
Die Freunde waren entschlossen, diese Chance
zu ergreifen. Schon am nächsten Tage machten sie
Fräulein Erna Klenke — so hieß die Dame — ihren
Besuch und baten sie, sich dafür zu verwenden, daß
Herr Meyer ihre Bilder ausstelle.
Meyer sträubte sich erst energisch. Er erklärte,
daß er sich als Kunsthändler dadurch für alle Zu-
kunft unmöglich machen würde. Nachdem Erna ihm
aber ruhig bedeutet hatte, daß sie. falls ihr diese
Art, sich erkenntlich zu zeigen, versagt würde, ihrer
Dankbarkeit durch Uebertragung ihrer Zuneigung
auf „Monsieur Piquart" genügen würde, der ihr
übrigens viel besser gefalle, gab Aleyer nach und
war zum Ausstellen der Bilder bereit.
An einem wundervollen Junitage wurde im
Salon Sigmund Meyer die Ausstellung der Hallu-
zinisten eröffnet.
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