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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Kunowski, Lothar: Deutsche Kunst über alles
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0567

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DEUTSCHE KUNST UBER ALLES

worden sind. Diese Männer werden niemals das
machen, was die Franzosen können, aber sie werden
uns innerlich viel mehr ergreifen und erschüttern.

Ich habe alle Kunstprobleme der Gegenwart
studiert. Man kann dem berühmtesten Künstler zu
Leibe rücken und ihm seine Mängel beweisen. Aber
man muß wollen, daß die deutsche Kunst unter
allen Umständen durchdringt. Sonst hat keine
Krittelei und keine Theorie auch nur den geringsten
Wert. Ganz ohne Zweifel ruht die Zukunft deutscher
Kunst auf den Maßnahmen, die man trifft, den
Kunstunterricht zu heben. Denn bloße Schwärmerei
für das bisher Geleistete ist nicht das Richtige.
Deutsches Hirn, Merz, Geist und Wille bemächtige
sich der Kunstprobleme, welche die Ausländer ge-
pachtet haben. Die Kunstprobleme der Gegenwart
werden nicht allein in Zigeunerateliers gelöst, ob-
gleich in ihnen oft manches Neue entstanden ist.
Wir haben in jeder großen Stadt und in jedem
deutschen Staat unzählige Kunstakademien, Kunst-
schulen, Kunstgewerbeschulen. Das sind die Plätze,
an denen die Fundamente bildender Kunst fest be-
gründet werden, genau so wie die Wissenschaft in
Universitäten ihre Grundlagen schafft und erhält.
Dieses große Vertrauen muß wieder hergestellt
werden, wenn es keine bloße Redensart sein soll:
Deutsche Kunst über alles!"

Solange junge deutsche Künstler als sklavische
Affen und Nachahmer der Franzosen Beachtung
finden und besprochen werden, statt daß man sie als
Diebe brandmarkt und von deutschen Ausstellungen
ausschließt, muß man guten Humor bewahren. Der
Deutsche ist eben der einzige Mensch in Europa,
der sich selbst und seine Eigenart nicht achtet. In
allen anderen Berufen hat er sich diese Schwäche ab-
gewöhnt. Nur in der bildenden Kunst gibt es noch
immer Leute, welche die politische und Kultur-
geschichte der letzten hundert Jahre nicht kennen.
Es sind bedauerliche Ausnahmen. Aber der An-
stand erforderte eigentlich, daß sie von jedem Bilder-
verkauf Prozente an die Familien der französischen
Künstler zahlen, deren Bilder sie kopieren.

„Deutsche Kunst über alles" heißt: Deutsche
Arbeit über alles. Albrecht Dürer hat uns gezeigt,
wie man völlig unabhängig sein und dennoch im
Ausland praktisch und theoretisch Studien machen
kann. Er würde einen Gesellen, der in seinem
Atelier Franzosen oder Italiener nachahmen wollte,
mit einem Fußtritt zur Türe hinaus befördert haben
und mit dem Ruf: „Deutsche Kunst über alles!"

Eine Nation, die zu feig und zu faul ist, die
Elemente der Kunst selbst zu untersuchen, die immer
nur auf Pump bei Ausländern lebt, hat keine Aus-
sichten. Man hat noch niemals den Versuch ge-
macht, die moderne Kunstgeschichte vom deutschen
Standpunkt aus zu schreiben. In den Werken der
Menzel, Böcklin, Klinger ist soviel Idee und Er-
findung geborgen, um ganz Europa mit neuen

Bildern zu versehen. Die deutschen Künstler waren
hundert Jahre lang fast durchweg Ideenmenschen,
denen die praktische Grundlage versagt war.
Diese bildlichen Ideen werden in einer ideenlosen
Zeit als ungeheurer Schatz erkannt werden.

Ich verletze jeden Parteimenschen, weil ich die
Künstler nicht hassen kann, die er haßt. Ein Kunst-
pädagoge darf die Jugend nicht zum Haß erziehen,
sondern ausschließlich zur Ehrfurcht vor dem
großen Können der vortrefflichen Männer aller
Parteien, das heißt zu der Devise: „Deutsche Kunst
über alles."

Es wäre töricht zu behaupten, daß uns die
Kunst der Ausländer gar nichts anginge. In Zeiten
allgemeiner Stockung im Inland sucht man Ver-
bindung mit ausländischen Geistern. Man entzweit
sich im eigenen Lande, man bildet und prägt scharf
getrennte Parteien und Kunstrichtungen aus. Man
schwärmt für Ausländer, gliedert sie seiner Partei
an und spielt sie gegen eine andere deutsche Partei
aus. Man verleiht seiner eigenen Partei einen ge-
wissen Glanz, wenn man ihre Ausstellung möglichst
reich mit den Werken begabter Ausländer durch-
setzt. Aber schließlich braucht man im Ausland
nicht herumzuhausieren, um dort bedeutende
Künstler zu suchen, die es nicht besitzt. Man
braucht auch nicht ausländischen Anfängern wohl-
begründete deutsche Kunstlehren zuzuschreiben, die
sie nicht erfunden, sondern von uns genommen
haben.

Ist die Verbindung mit ausländischer Kunst
von Zeit zu Zeit hervorzukehren und war für die
Deutschen jenes Schwärmen für Paris, Rom, Florenz,
Madrid ein wesentlicher Antrieb, solche Städte auf-
zusuchen und zu studieren, ergab sich daraus ein
Zustand begeisterter Erhebung, so darf man nie-
mals vergessen, daß neue Geistesverbindungen im
Inland selbst noch viel stärkere Wirkungen haben
können. Ohne Begeisterung ist noch niemals be-
deutende Kunst geschaffen worden. Ohne eine
weithin wirkende Devise, wofür man sich gemein-
sam begeistern sollte, kann man nicht leben und das
Beste schaffen. Aus dem Zustande der Vereisungen,
Erkältungen, Verschnupfungen werden keine großen
Kunstwerke geschaffen. Alle Gruppen deutscher
Künstler haben ihr Bestes geleistet in Augenblicken
gemeinsamer Begeisterung für ein höchstes Ziel.
Das gilt für jede einzelne Gruppe und ihre Mit-
glieder. Die Berliner, die Münchener, die Worps-
wedes die Scholle, die Zeichner der ..Jugend" und
des „Simplicissimus" — stets sahen wir aus irgend
einem Begeisterungskeim, der die Mitglieder solcher
Gruppen entflammte, Vorzügliches hervorgehen.
Dann kommt aber für jede Gruppe wieder ein Ab-
flauen der Kraft, die Gefahr neuer Zersplitterungen
und Erkältungen.

Darum braucht jede Epoche eine allen Gruppen
gemeinsame Devise, etwas, wofür alle tätig sind und
woraus sie alle Lebenswärme für ihre Werke ge-

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