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Die Kunstwelt: deutsche Zeitschrift für die bildende Kunst — 3.1913-1914

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Albrecht, ...: Maschinenbau und Kunstgewerbe: ihre Gegensätze und Berührungs-Punkte
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https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0587

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MASCHINENBAU UND KUNSTGEWERBE

mit ihren mittelalterlichen Stilarten auch schlecht zu
der den Stil unserer Zeit verkörpernden Eisen-
konstruktion, die nichts vortäuschen, sondern uns
nur ein Flüsse und Täler überbrückendes Trage-
werk für die schwersten Lasten zu erkennen geben
will. Die steinernen Torbauten stehen also mit der
Eisenkonstruktion in keinem inneren Zusammenhange
und können daher einen Anspruch auf Schönheit
nicht erheben. Die Brückenbauingenieure haben
früher wohl selbst geglaubt, daß ihre eiserne Bauten
der Verschönerung durch einen Architekten be-
dürften. Doch besteht schon seit Jahrzehnten in
den Kreisen der Bauingenieure die Auffassung, daß
die eisernen Brücken ebenso wie die Werke der
Maschineningenieure frei sein müssen von allem
architektonischen Beiwerk. Die wenigen eisernen
Bauten, die ohne dieses erbaut sind, zeigen zur Ge-
nüge, daß sie für sich allein schön wirken.

Wir haben also gesehen, daß die Maschinen-
bau len nach Ueberwindung der früher begangenen
Verirrungen ihren eigenen Stil sich errungen haben,
und daß auch die Eisenbauten willens sind, das
ihnen auferlegte Joch der Architektur von sich abzu-
schütteln, um zu der gleichen Selbständigkeit wie
die Maschinenbauteil zu gelangen.

In welcher Stufe der Entwicklung befindet sich
nun aber unser modernes Kunstgewerbe? Was ver-

KLEINER TISCH MIT STEHLAMPE.

ENTW.: AUGUST XOLDEN-LEIPZIG.

steht man überhaupt unter kunstgewerblichen Er-
zeugnissen? Offenbar alle diejenigen Gegenstände,
bei denen es nicht allein auf die Zweckform an-
kommt, die vielmehr auf den Beschauer einen wohl-
tuenden Eindruck ausüben und ihn ästhetisch be-
friedigen sollen. Wir werden also, um einige Bei-
spiele herauszugreifen, eine Blumenvase, einen Be-
leuchtungskörper oder ein Möbelstück ohne weiteres
zu den Erzeugnissen des Kunstgewerbes rechnen, da
es bei allen diesen Gegenständen nicht genügt, daß
sie nur zweckentsprechend gestaltet und eingerichtet
sind, sie vielmehr unseren Schönheitssinn auch zu-
gleich befriedigen sollen. Einen Anspruch auf ein
Kunstwerk etwa wie eine Bronzefigur brauchen sie
deswegen noch nicht zu erheben, wenn auch die
Gegenstände von Künstlern entworfen sind. Im
Gegensatze hierzu können beispielsweise Haken,
Nägel oder Schrauben keinesfalls zum Kunstgewerbe
gerechnet werden, wenn sie nur zur Verbindung und
Befestigung von einzelnen Teilen bestimmt und an
dem fertigen Gegenstand überhaupt nicht mehr
sichtbar sind. Solche Gegenstände scheiden daher
bei der vorliegenden Betrachtung selbstverständlich
aus. Das moderne Kunstgewerbe bemächtigt sich
freilich auch der einfachsten und unscheinbarsten
Gegenstände des täglichen Gebrauchs, wie Koch-
töpfe, Siebe, Messer, Gabeln u. a.

Das Kunstgewerbe hatte in den dreißiger, vier-
ziger Jahren des 19. Jahrhunderts in Deutschland
eine gesunde Richtung erhalten. Die Möbel und an-
deren Gegenstände zeichneten sich durch schlichte
Formen und behagliche Wärme aus. Allerdings war
diese Stilperiode, die wir jetzt Biedermeierstil
nennen, aus dem wirtschaftlichen Zwange entstan-
den, das entbehrliche Ornament zu beseitigen. Noch
heutigen Tages erfreuen uns die Kunstgegenstände
aus dieser Zeit wegen ihrer sachlichen und gedie-
genen Ausführung. Neben dem Mahagoniholz wur-
den auch helle Hölzer, namentlich Birke und Kirsch-
baum zu den Möbelstücken verarbeitet. Leider nahm
aber danach das gesamte Kunstgewerbe eine uner-
freuliche Richtung. In Deutschland entstand dann zu
Beginn der siebziger Jahre nach vielem Suchen nach
einem neuen Stile die Renaissance-Bewegung, und
es herrschte Freude darüber, daß man wieder ein
deutsches Kunstgewerbe besaß. Es wurde aber
übersehen, den gefundenen Stil der Neuzeit ent-
sprechend auszubilden, und man erging sich in
Ueberhäufungen der Gegenstände durch ornamentales
Beiwerk. Diese Aeußerlichkeiten und Oberfläch-
lichkeiten der neuen Stilrichtung mußten aber bald
unerträglich erscheinen, und so gelangte man zur
Anwendung aller möglichen historischen Stile, die
jedoch der Neuzeit entsprechend ausgestaltet wur-
den. Es ist nicht zu verkennen, daß hierbei ganz
hübsche Arbeiten entstanden sind, und tatsächlich
findet mitunter auch heute noch eine Anlehnung an
die früheren Stile statt.

Doch bald brach sich die Erkenntnis Bahn,

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