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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0131

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86 PROTEUS.

er hin in den Tempel der Nymphen , bauete Altare und brachte vier Ochfen und
eben so viel junge Kiihe dar. Neun Tage hernach hielt er dem Orpheus ein To-
den-Opfer. Endlich , um sich auch bey der Eurydice aus zu sohnen so verehrete
er ihre Asche mit Opserung einer jungen Kuh und eines schwarzen Schases. Als er
nun hierauf wieder in den geheiligten Wald kam , woselbft er die abgefchlachteten
Opfer-Thier e liegen rasfen, iahe er mit seinen Augen ein neues und unerhörtes Wun-
der an. In den Leibern der tod darnieder geftreckten Thiere horete man Bienen
summen. Es war aber dieses sliegende Gewürm aus der gährenden Feuchtigkeit
innwendig in diesem Opser-Vieh hervorgebracht worden. Endlich kamen ganze
Bienen-Schwarme aus den Oesnungen, die Tie sich zwischen den Ribben des Rind-
Viehes machten, heraus, fo dass sie bald eine ganze Wolke vorstelleten. Hieraus
hengeten sie sich alle zusammen an einem Baum an und bildeten vermittelnd ihrer
kleinen und dicke geheusten Corper gleichfam eine Wein-Traube vor.
ERKLÄRUNG DER. FABEL.
Proteus 10 war ein Egyptischer Konig welcher um die Zeit des Trojanischen"
Krieges lebte. Dieweil er klug und vorlichtig war, so sagte man, er befässe die
Gabe das zukunftige zu wissen. Weiler nicht auszulernen war, fo muste man
ihn gleichfam binden und uberfallen , wenn man was aus ihm bringen woltc.
Und weil es ihm an politifchen Anfchlägen niemahls fehlete , so hies es, er ver-
kleide fich in allerhand Geftalten , um feinen Zweck zu erreichen. Bey diesen
herrlichen Eigenfchaften war er hochmüthig , liefe fich seiten öfsentlich sehen und
kein Menfch durfte fich auf dem Wege , den er gierig , antressen lassen. Einige
wenige von den groften Herrn feines Hofes hatten Erlaubnifs mit ihm zu gehen:
und das find die, welche Homerus und Virgilius Phocas, Meer-Kuhe , Meer-Kal-
ber und grofe Fifche nennen, die Heerden aber, die ihm follen anvertrauet gewe-
jfen seyn, find nichts anders als feine Soldaten, welche er öfters mufterte. So ein
Fiirfl ift es gewefen , aus welchen die Poeten einen Meer-Gott und Wahrfager ge-
machet unes ihm fo wunderbahre Verwandlungen angedichtet haben. Der Nähme
Cetes, den ihm Diodorus beyleget, und der fo viel heifl , als ein Wallfifch oder
ein grofer Fifch , kan auch etwas zu diefer Fabel beygetragen haben; wie nicht
weniger das, was eben dieser Scribent hinzufüget, nemlich dass diefer Herr alle-
zeit über feinen Helm die Haut eines Thieres, als eines Löwen, Tygers, Panther-
Thiers , oder einer Schlange getragen habe, um fich defto größeres Anfehen da-
mit zu fchaffen.
Die angeführte Erklärung ist die allerwahrfcheinligfte und wohlgegrundetste.
Einige Gelehrte haben vorgegeben , Proteus fey ein Sophist oder gelehrter Wind-
Macher gewefen, welcher mit feinen verfänglichen Vernunft-Schiliften allen Men-
fchen eine Nafe drehen können. Lucianus 11 giebt ihn vor einen Tänzer , Gauck-
ler oder Comcedianten aus, welcher überaus gefchmeidig gewefen , und sich auf
unzehlige Weife rucken und verteilen können. Heraclides aus Pontus vergehet
durch den Proteus die vielerley Geftalten, welche das Allgegenwärtige verständige
Wefen die Materie annehmen läsfet. Andere fagen, es werde die Wahrheit damit
angezeiget, welche allen denen verborgen bleibe, die fie nicht mit unermudeten
Fleife fuchen wollen.
ANMERKUNGEN,
io. Proteus war &c] Nach dem ZeugnilTe des Homerus habe zu Memphis , andere, in der Insel Pharus, regieret.
(») 3 Herodotus {b) , Diodorus Siculus (c) , Clemens Alexandri- i i- Lucianus ] In feiner Unterredung vom Tanzen,
nus (d) 5 Lycophron (e) und vieler anderer. Einige sagen , er
(«) Odyss. L 4- W Lib. z. (0 Ub. i. (<ö Strom, s. (<) In Ctsinir*.
XXX. DIE
 
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