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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0068

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38

XV.
DIE IN EINE

SONNEN-BLUME VERWANDELTE
CLYTIA
Membra ferunt hßfijfe folo; partemque colori's
Luridus exangues pallor cowvertit in herbas.
Eß in parte rubor> violteque ßmillimus ora
Flos tegit. lila fuum, quamv'ts radice tenetur,
Vertitur ad Solem, mutataque firvat amorem.
OviD. Met. 4. VS. z66. feqq.


Ie Liebe , welche die Clytia zur Rache getrieben hatte, hatte ihr
auch zur Entschuldigung dienen können: inzwischen hob die Son-
ne von der Stunde an allen Umgang mit ihr auf und sahe sie
anders nicht, als mit Verachtung, an. Da sie sich nun also muste
Verlanen sehen, fiel sie vor Schwehrmuth in eine todliche schwach-
heit. Die Gesellschafft der Nymphen war ihr fernerweit unleidlich. Sie lao-
Tag und Nacht ohne Kleider und mit unaufgebundenen Haaren auf bloser Er-
de und nährte sich allein mit ihren Thranen und dem Thaue vom Himmel.
In solchem zustande blieb sie neun ganzer Tage liegen und ihre Augen waren unab-
lassi'g nach der Sonne gerichtet, die sie mit ihren Blicken biss zu ihrem Untergan-
se begleitete. Endlich wurde ihr Leib an der Erde fest, woselbst eine Pflantze
ervor wuchs, und anstatt des Gesichtes dieser Nymphe kam eine Maisgelbe mit
violet und roth vermengte Blume zum Vorschein. Wiewohl nun solche mit ihrer
Wurzel in der Erde feite slehet, so drehet sie sich doch unaufhörlich nach der
Sonne zu , mithin giebt Clytia , auch nach ihrer Veränderung, noch immer zu
verliehen, wie sehr sie die Sonne liebe.
ERKLÄRUNG DER FABEL.
Aus dem , was wir in der Erklärung der vorigen Fabel gelaget, kan man sich
leicht die Rechnung machen, dass allhier nichts viel grundlichers werde können
gesaget werden. Einige wollen , dass die Blume Heliotropium 1 oder Sonnen
wende genannt, wenn sie neben den Weyrauch-Baum gesetzet werde , selbisen
verderbe, und hierauf auch selbst vergehe.. Konte diese Eigenschafft mit <xnu<rsa-

men

ANMERKUNGEN.

1. Heliotropem.] Dieweilen Ovidius die Blume, wovon
hier die Rede ist, nicht nennet , und sie nur poetisch, das ist,
' gar unvollkommen beschreibet, so kan man nicht eigentlich Ta-
gen , welche er meynet, ausser nach der Eigenschaft , welche er
ihr beyleget, class sie sich nemlich allemahl nach der Sonne drehe.
Man nennet sie insgemein Heliotropiuni', oder Sonnenwende, und
verliehet dadurch das jenige Erd-Gewachs , das lateinisch Corona
So/ts, und teutfch die Sonnen-Hofe oder Sonnen-Blume heist , wel-
ches in unsern Garten heufig zu finden ist, usd denen Blurae

einer strahenden Sonne gleichet; nicht aber das rechte Heliotrop
ptum, welches lateinisch herba verrucaria , und teutsch Zahmt-
Wegwart genennet wird, davon weder die Blätter noch der Sten-
gel, noch auch die Blume nicht die geringste Ähnlichkeit von
der Blume haben, die durch die Verwandlung der Clytia so be-
rühmt geworden ist. Solte aber wahr seyn , was die Gelehrten,
so von Krautern geschrieben , sagen , dass diese schone Blume
aus Peru in Europa gebracht worden, wie kan denn Ovidius was
davon gewust haben ?
2. Die
 
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