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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0018

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I.

DAS CHAOS
Corpore in uno
Frigtda pugnabant calidis 3 humentia siccis.
Ovip. i. Met. i8, i9>


An muss ein Mahler oder ein Poete seyn, wenn man eine Abbildung
von dem Chaos 1 geben will, das ift, von dem unordentlichen Zu-
ftande , in welchem die Materie aller erfchaflfenen Dinge vor der
Erfchaflrung der Welt soll gewefen feyn. Was kan man doch die-
fem erften Urfprunge vor eine Geftalt, oder was vor einen Zufam-
menhang zueignen, da hier ein ieder aufrichtiger Phiiofophe gerne fein Unvermö-
gen bekennet, nachdem fo mancherley finnreiche und in Philofophischer Lehr-Arc
geübte Kopfe mit ihren auf gewifle Grund-satze gebaueten SchrisFcen fehl ^efchof-
fen haben. Die OfTenbahrung, deren eigentlicher Zweck nicht ift, iemanden die
Natur-Wiffenfchasft zu lehren , thut unfern verlangen hierinne kein Gnugen , Tie
faget uns weiter nichts, als nur, dafs Gott durch fein Wort alle Dinge aus nichts
gemacht habe. Die Heydnifchen Poeten, welche diefes Gottlichen Lichtes berau-
Bet waren und nicht begreifen konten , wie aus nichts könne etwas werden , ge-
riethen dann auf die Meynung, dafs die Materie der erfchaffenen Dinge müiTe ewig
seyn,
ANMERKUNGEN.

i. Chaos.] Mit dem Chaos sangt Heßodus (a) fein Geschlechts-
Regifter der Gotter an : Das Chaos, spricht er , war eher , als
alle Dinge. Ich mag dieses Geschlechts- Register hier nicht an-
suhren , ein ieder kan es in angezogenen Buche selbft nachsehen.
Wer weiss nicht, wie Ovidius das Chaos beschrieben hat ? Aus
fölcher Befchreibung fiehet man gar leicht» was die Alten vor Ge-
danken von der Erfchassung der Welt gehabt; wiewohl auch
Philofophen gewesen find , als wie Arißoteles , welche die Welt
vor ewig gehalten haben. Ovidius hatte feine Nachrichten aus
dem Heßodus. Dieser und alle Griechen hatten solche von den
Phceniciem oder Egyptern empsangen , und diefe hatten fie den
Juden zu danken.
Zu verwundern ift, daß diefe Poeten keine Wiflenfchasst von
dem erften Menfchen gehabt, und dafs sie an ftatt einer so wich-
tigen Wahrheit ihre Lefer mit Erzählung von der Gotter-Erzeu-
gung absoeifen. Zwar meynen viele, dafs die klugften Heyden
unter folchen Gottern die vornehmften Welt-Theile anzeigen
wollen und aus selbigen nach und nach felbst den Ursprung der
erfteren Menfchen hergeleitet, ohne/ doch eigentlich die rechte
Zeit folches Urfprungs anzeigen zu können. Dem fey aber nun
Wie ihm wolle , fo glaubten doch inzwifchen die Epicurijchen
Weisen felbft nicht, dafs die Welt gar zu alt fey. Wir finden
ein merkwürdiges Zeugniis davon im 'Lucretius (b). Nachdem er
mit vielen Beweisthumern gezeiget hat , dafs der Anfang der
Welt nicht allzuweit zurucke zu suchen fey , dafs sie einen An-
sang gehabt und dereinft ihr Ende zu gewarten habe, fo fchreibt
er die Bildung aller Dinge den Atomis oder untheilbahren Theil-
gen zu , faget aber nicht, zu welcher Zeit eigentlich alles gebil-
det worden. Woraus fehr fchön zu fehen , dafs die Griechen
und Lateiner dem Zeugnisie der Egyptischen Priefter nicht viel
getrauet haben , ,als welche vorgaben > dafs das Regiment der
Gotter, Halb-Gotter und Könige, welche bis auf den Nettanebo
über fie geherrschet, zu iämmen, einen Zeit von '56525- Jahren
ausmache; noch minder ift ihnen bey fo gestalten Sachen in Sinn
gekommen, fich so alt zu machen, als die Chinefer zu thun psse-
gen. Mai) kan auch noch ferner daraus schlussen , dass fie von

der Judifchen mündlich^ fortgepssanzten Nachricht, die Zeit-
Rechnung von der Schöpsung an betreffend , nichts gewust.
Denn wenn sie etwas davon gehöret hatten , so ist zu glauben,
dals Heßodus, Homerus, Lucretius, Ovidius und andere mehr da-
von nicht wurden haben ftille gefchwiegen.
Man betete das Chaos an und stellete es unter die unterirrdi«
schen Gottheiten:
DU, tjuibus imperium eß animarum, umbraqueßlentet7
Et Chaos & Phkgeton. (c)
Das ift , „ Ihr Gotter, die ihr über die Seelen herrfchet, ihr
„ stillen Schatten, und unter denselben Chaos und Phlegeton!
Ebenderfelbe lateinifche Poet gedenket von der Dido : (d) dass
fie den Erebus oder die Holle, das Chaos und die dreyfache Mach:
der Hecate angeruffen.
Endlich haben viele gemeynet, der Vater der gantzen Natur
sühre den Nahmen Demogorgon. Diefes Wort heist so viel als
Gott der Erden (e). Die Poeten haben solchen Gott gantz tief in
die Holle gewiefen, und gar unter den Styx hin. Manche hielten
ihn auch vor die Seele der Welt, wie Omnibonus über den Luca-
nus anmerket, dieweil er allen Dingen ihr Leben giebet , und
weil der Sternhimmel, Sonne, Mond und Sterne von ihm ihren
Urfprung genommen haben. Es lad fich ganz naturlich mutfor
maafen, dafs die Fruchtbarkeit der Erde zu diefer Fabel Gelegen-
keit gegeben. Denn die Alten , wenn sie sahen , daß die Erde
von fich felbft Blumen und Früchte hervorbrachte, bildeten fich
ein, dafs fie eine lebendige Seele habe. Aus folcher nun machten
sie eine Gottheit und nennten felbige Demogorgon , wodurch die
Herren Philofophen ohne Zweifel nichts anders verftunden , als
die wachfendmachende Krafst, von welcher alle Erdgewächfe ihr
Leben und Wachsthum haben-
Sein , nemlich des Demogorgon Nähme war fo fürchterlich»
dass man solchen nicht aus fprechen dursste. Lucanus redet in,
feinen sechften Buche alio von ihm: „ Wollet ihr mich nöthigen,
„ denjenigen zu befchworen, defien Nähme niemahls angeruffi

en
» Wird,

(*) Theos- 1. Hi.siis. W L. f. de Nat. Ret. v. jo7. ssqj. («) r<r(, v£km& L. VI. (i) vEmid. L, iy, {,)
A
 
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