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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0212

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144

LIII.

I P H I S
UND
ANAXARETE.
Cum foribus laquei religaret vincula fummis<>
Ü£C tibi ferta placent* crudelis £5? impia, dixit;
Inferuitque caput: fed tum quoque verfus ad illam eß,
Atque onus infelix elifa fauce pependit.
■---Paulatimque occupat artus,
Quod suit in duro jampridem peffore, faxum.
Ovid. Met. 14. vs. 735. fcqq. &: 757,

Ph is, ein Mensch von schlechten Eltern, verliebte sich in die scho-
ne, Anaxarete , welche hingegen von hoher Ankunft war. Die-
weil ihm der Unterfchied ihres beyderseitigen Standes nicht viel Hof-
nung gab, dass sie sein Verlangen geneigt anhören wurde, stritte er
erst eine lange Weile wieder diese neuentstandene Liebe: alleine diese
war so stark, dass sie alle seine Einwurfe uberwand, und ihn zu seiner Geliebten
hintrieb. Anfangs machte er lieh an ihre Bedienten und suchte selbige auf aller-
hand Art und Weise auf seine Seite zu ziehen: ja er brachte sie dahin, dass sie sei-
ne Briefe an die Anaxarete bestelleten, worinne er seine grose Zuneigung deutlich
vorstellete. Er zierte oftmahls die Thür ihres Hauses mit Blumen-Kranzen, wel-
che mit seinen Thränen besprenget waren. Bissweilen lag er ganze-Nächte vor
dieser Thür und beschuldigte dieselbe , als wenn sie allein das Hinderniis seines •
Glückes war. Diese unbarmherzige Frauens-Person aber war unempfindlicher als
ein Stein , und begegnete seiner Liebe mit der aüsersten Verachtung, welche ihm
alle Hofnung , ihr Herz iemahls erweichen zu können , raubte. Dahero lies er
sich Schmerz und Verzweifelung uberwinden , gieng zum lezten Mahle vor die
Thür seiner Liebsten und führte folgende Klagen gegen sie: „ Du Überwindest nun,
„ du Grausame : du wirst nunmehr den unglückseligen, der dir keinen Friede
„ läst, bald los werden. Erfreue dich deines Sieges fein, und mache dir nun die
„ unmensehliche Lust, mich sterben zu sehen. Hat dir mein Vornehmen allezeit
„ missfallen, so wirst du doch gezwungen werden zu bekennen, dass ich dir noch
„ damit einen Gefallen gethan , dass ich mich umgebracht. Inzwischen glaube
„ nur nicht, dass ich eher als mit dem Tode aufhören werde , dir meine Gewo-
„ genheit zu bezeugen : nein , nein ! ich kan das Licht von deinen schonen Au-
„ gen nicht eher entrathen , als biss ich dem Sonnen-Lichte absagen werde. Ich
„ will aber dem Gerüchte keine Mühe machen , dass es dir meinen Tod ansagen
„ solle: ich werde dir solchen selbst zu willen thun, damit du nicht nothig hab-
„ est, daran zu zweifeln. Du sollst mich erstarret sehen, und deine Augen kon-
„ nen sich an diesem angenehmen Anblicke weiden". Nach Endigung dieser
Vor-
 
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