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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0147

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DIE SIRENEN. 97
sehr, dass s:e sie nicht hatten aushalten können , dass sie sich ins Meer stürzten,
da denn der untere Theil ihres Leibes die Gestalt eines halben Fisches bekam , der
Kopf aber nebst dem Obertheile des Leibes blieben wie zuvor.
1 ERKLÄRUNG DER FABEL.
Die Sirenen waren 1 dre^ verhurte Dirnen ?, welche drey kleine Inseln bewohn-
ten , die nach ihncnSiremJä genennet wurden, und nicht weit von der Insel Caprese,
der Stadt Surrentum gegen über lagen. Sie zogen durch ihre schonheit und artige
Sing-Kunst die Fremden an lieh, welche sich denn bey ihnen durch Wohllust und
Verschwendung ganz entkräfteten. Der Nähme Sirena komt von dem Punischen
Worte 4 «5», das ist ein Gefang, her. Man sagte, sie wären Tochter des Flusses
Achelous, dieweil die Insel Taphos , aus welcher sie sich nach Capreae gewendet
hatten, nicht weit von der Gegend war, um welche sich dieser Fluss ins Meer er-
gieset. Iedennoch wollen andere behaupten , dass die Fabel von den Sirenen da-
her entstanden sey, dass nicht weit von Capreae oder Surrentum ein gewistes nicht
unangenehm klingendes Geläute vernommen worden, welches die zwischen Stein-
Felsen ingepresseten Meer es-Wellen verursachet und damit die Schiff-Fahrer ver-
führet, dass sie verungluket wären.
Ovidius * erzehlet uns die Verwandlung der Acheloischen Tochter6 in Vogel.
„ Als Proserpina , schreibt er, von dem Pluto war entführet worden , und die
„ Sirenen selbige auf dem Lande allerwegen vergebens gesuchet hatten, bathen sie
„ die Götter, sie mochten ihnen doch Flügel geben, damit sie ihre Freundin auch
„ auf dem Meere suchen konten. Und siehe sie wurden ihres Wunsehes gewäh-
„ ret und bekamen an statt der mensehlichen , Füse und Flügel, als wie die V6-
„ gel, das jungfräuliche Angesichte aber nebst ihrer Stimme behielten sie 7." Hie-
durch ist nichts anders zu verstehen , als das sie ein Schiff mit Seegein zurechte
machen lassen, auf welchem sie die Proserpina gesuchet.

ANMERKUNGEN.

2. Waren drey.] Wiewohl die Scribentcn über ihrer Anzahl
nicht einig sind. Diejenigen , so ihrer drey zehlen nennen sie
Parthenope,Leucoßa und Ligia. Anderelprechen, es waren ihrer
nur zwey gewesen, ohne sie zu nennen, fcinige geben ihrer funfe
an und nennen die zwey lezteren Aglaphos und Mopfe. ^
V Drey verhurte Dirnen, welche &c] Servius last
sich also davon vernehmen («): „Wie man in den Fabeln lieset,
„ so waren die Sirenen drey Nymphen , halb Jungfern und halb
„ Vogel. Ihre Eltern waren der Fluss Achelous und die Muse
„ Calliope. Eine sung, die andere spielete auf der Flöte und die
„ dritte auf einemInstrumente mit Sayten uberzogen. Erst woh-
5, necen sie nicht weit von dem Vorgeburge Pelorus, hernach-
„ mahls aber auf der Insel Capreae. Alleine in der That und
Wahrheit waren es drey unzuchtige Metzen > welche die vor-
beygehenden an sich lockten und aussogen : daher komts > daß
„ man gesaget, sie verführten die Leute an solche Oerter, wo sie
„ Schiff-Bruch litten.
4. Von dem Punischen Worte Sir.] v. Bochart, Cha-
naan Lib. I. Cap. 18. 27.
5. Ovidius.] In seinem V. Buche von den Verwandlungen
{Metamorph.) v. 55 z. fequ.
6. In Vogel.] Daher körnt es, dass sie die Poeten bald als

Vogel, bald als Fische abbilden. In ihrer erslen Verwandlung
wurden sie halb zu Vögeln , und in der andern hingegen zu hal-
ben Fischen.
7. Behielten sie.] Hyginus (b) erzehlet diese Fabel ganz
anders. Denn nach seiner Meinung hat Ceres selbst die Ache-
loischen Töchter in Vogel verändert, dieweil sie ihrer Tochter
Proserpina nicht zu Hülfe gekommen, als Pluto sie geraubet. Ihr
Schicksal solte seyn , dass sie so lange leben musten , biss einmahl
ein vorbeyreisender ihren Lockpfeifen entgehen wurde. Als nun
UlylTes so nahe bey ihnen vorbeygesegelt war und sich durch sie
nicht hatte aufhalten lalTen , so sturzten sie sich ins Meer und
ersosfen. Allein diese Fabel reimet sich nicht wohl zu der Bege-
benheit des Orpheus, welcher auch so glucklich gewesen , den
Verfuhrungen der Sirenen zu entgehen und sie mit seiner entzuc-
kenden Stimme^ und mit dem Zauber-Klang seiner Leyer oder
Laute noch zu übertreffen.
Pausanias (c) erzehlet , daß die Sirenen , auf Anstiften der Ju-
no , sich unterstanden, den Musen die Ehre des Vorzugs in der
Music streitig zu machen , und sie auf eine Probe hier über aus-
zufodern; als aber die Mufen den Sieg erhalten , hatten sie ihnen
die Federn aus den Flugein gerupfet und sich Kronen davon ge-
machet.

0) Ubei das sünfte Euch oEneid. Virgil. (£) Fab. 141. (c) Lib. %

Bb

XXXV. CEYX
 
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