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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0153

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I C A R U &

101

die Hirten lehnten sich aus ihren Schaser-Stab und die Acker-Leute aus ihre Pslug-
Stutzen , um sie defto bequemer zu betrachten. Vater und Sohn ssogen also da-
hin, und hatten schon linker Hand die Infein Samos, Delos und Paros hinter fich
seleget, rechter Hand aber sallen fie die Infein Lebinthiis und Calydne; da würde
der junge Icarus immer kuhner und kriegte Lust , d:n Himmel was naher zu se*
hen, daher er seinen Führer verlies und lieh allzuhoch aufschwunge. Als nun von
der Sonnen-Hitze das Wachs, womit die Federn in feinen Flugein aneinander ge-
klebet waren, zerflofs, so merkte er wohl, dass er fich nicht mehr erhalten kon-
te: er bewegte feine Arme, fo ftark er nur konte , alleine vergebens, er rufte fei-
nen Vater um Hülfe an, aber auch diefes war vergebens, fo dass er ins Meer hin-
ein plumpte, welches nach feinen Fall auch nach ihm ift genennet worden.
ERKLÄRUNG DER FABEL»
Die Geschichte des Daxlalus ist so in die Begebenheiten des Minos, der Pafiphae,
Ariadne, und des Thefeus hinein verwickele, dafs wir folche unmöglich vollftan-
dig 1 wurden erzehlen können, ohne zugleich in eine Weitleuftigkeit zu gsrathen,
welche wir uns doch zu vermeiden vorgenommen haben. Es ift genug , wenn
man weifs, dafs Dsedalus, feiner Geburth nach , ein vornehmer Athenienfer und
in der Bau- und Bildhauer-Kunft der grofte Meifter feiner Zeit gewefen. Er hatte
sich durch eine ihm, als einem fo grölen Manne, ganz unanftändige Misgunft da-
hin bringen lafTen , dafs er einen feiner Vettern , Nahniens Talos"4 \ den er felbft
erzogen hatte und glaubte , es werde ihn folcher noch einftens in der Kunft uber-
treffen , ums Leben gebracht; daher ihm das Areopagitifche Gericht unfehlbar
den Kops wurde abgebrochen haben, wenn er nicht nach Creta entflohen , und
von dem Minos in Schutz genommen worden. Dafelbft nun hat er das Labyrinth
gebauet, welches in dem Alterthume so berühmt war. Als Minos hernachmahls
darhinter kam , dass er der Pafiphae in ihren Liebes-Handeln beyräthig gewefen,
lies er ihn ins Gesangnifs werfen. Allein er fände Mittel, in aller Stille zwey leich-
te Fahrzeuge, eines vor fich , das andere vor feinen Sohn Icarus, anzufchaffen*
damit ihn nun die Schiffe des Minos, welche nur mit Rudern fortgetrieben wur-
den , nicht einhohlen konten, und weil er auch den Wind vor sich hatte, fo krieg-
te er den Einsall, ein Segel auf sein Bootgen zu machen , welches vor ihm noch
niemand in die Gedanken gekommen war. Aus diese Art kam er glücklich über:
Icarus aber hatte sein Fahrzeug nicht recht regieren können, war unglücklich und
ersoss. Sein Corper kam mit der Fluth in die benachbarte Insel Samos, welche
damahls noch keinen Nahmen hatte. Hercules, welcher eben ungefähr aus selbi-
<rer war, kante den Icarus gleich und lies ihn ganz ordentlich zur Erde bestatten.
Pausanias \ welcher uns diefe Erklärung an die Hand gegeben, suget dabey, dafs
man noch zu seiner Zeit, aus einem in das /Egadfche Meer hinein gehenden Vor-
gebiirge, einen kleinen Sand-Hugel auf der Stelle, da Icarus beygeletzet worden,
habe fehen können. Von selbiger Zeit an sind fo wohl die Insel als der um selbige
gehende Meeres-Strich von dem Icarus beygenahmet worden.

ANMERKUNGEN.
i Vollständig.] Man findet die Geschichte des Da:dalus 2. Talos.] Ovidius (d) nennet ihn terdix und giebt Vor, MU
bevm Anollodorus (a) Ovidius {b), und befonders beym Diodo- nerva habe ihn in ein Reb- oder Feld-Huhn verwandelt.
rusSiculus (c). 3- Pausanias.] Lib. IX-
(-) Lib. ». & 3. v»; Mstam. 1. 8. (*) Lib. 4. c. 13. U) Met. 8. vs. itf.fai'

Cc XXXVII. LEAN-
 
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