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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0162

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N A R C I S S U S. ic7
aber hierauf im Wasser die Mahle von solchen Schlagen gewahr wurde , lies er
{ich den Schmerz vollends gänzlich uberwinden. Gleichwie Wachs am Feuer
zerssieset, und wie der Thau von den ersten Sonnen-Strahlen verzehret wird, also
wird der arme NarcilTus von seiner Liebes-Hitze nach und nach ausgemergelt.
Man vermisTet in seinen Gesichte die Lilien und Rosen , welche ihm so viele An-
nehmlichkeit gaben; seine Kraft verliehrt sichj er hat nichts mehr von der Lebhaf-
tigkeit und Schönheit, die der ungluckseeligen Echo so wohl gefallen hatte. In-
zwischen da diese Nymphe seiner in solchen betrübten Zustande ansichtig wurde,
vergass sie seine ehemahlige Sprodigkeit und schiene Mitleiden mit seinem Un-
glücke zu haben. So oft sie ihn ein seufzendes Ach! vorbringen horte , äch-
zete sie auch. Das Klatschcn der Schlage, womit er in sich wütete, machte
sie natürlich nach. Narcissus betrachtete endlich sein Bildniss zum lezten Mahle
und schrye, Ach ! weg mit dir vergebens geliebtes Bild ! Da wiederhohlte
Echo eben dieselben Worte. Lebe wohl ! fugte er mit gleichsam sterbender
Zunge hinzu. Lebewohl/ lies sich auch die Nymphe vernehmen. Und hier-
auf lies er sein Haupt ins Gras niedersinken und der Tod druckte ihm die
Augen zu , welche noch im Sterben seine eigne Schohnheit bewunderten.
Die wahnsinnige Liebe aber verlies ihn auch im Tode noch nicht; und als er
in die Holle hinunter kam, muste er sich noch in dem Wasser des Styx be-
schauen. Die Wasser-Nymphen seine Schwestern desgleichen die Wald-Nym-
phen beweinten ihn , und Echo sprach alle ihre Klagen nach. Als man aber
seinen Corper zum Verbrennen abhohlen wolte, ward er vergebens gesuchet,
denn man fand auf dem Sterbe-platze nicht anders als eine gelbe Blume4, die
in der Mitte einige weise Blatter hatte.
ERKLÄRUNG DER FABEL.
"Wenn wir vor allen Dingen bemerket haben, wie diese Fabel die traurigen Fol-
gerungen einer unordentlichen Selbslliebe ungemein schone vorstelle , so wird zu
einiger historischen Erklärung folgende Stelle aus dem Pausanias 3 am dienlichsten
seyn.
„ Unweit Thespiae ist ein Ort, der Hedonacon 4 heist, allwo der Narcissus-
„ Brunn zu sehen ist, welchen eine ganz ungewöhnliche Geschichte berühmt ge-
„ macht hat. Denn NarcilTus soll sich darinne unaufhörlich beschauet haben, da
„ er denn nicht gemerket, dass das, so er sähe, nichts anders als sein Schatten
„ sey und sich dahero in sich selbst verliebet, ohne es zu wissen , sb gar,
„ dass er endlich vor Liebe und Begierde an dem Rande des Brunnen ver-
„ schmachxen mussen. Alleine das ist so eine Erzehlung, die bey mir nicht viel
„ Glauben findet. Denn wie solte doch ein Mensch so von Sinnen kommen
„ können, dass er sich in sich selbst vergasfete, so wie etwa mancher in iemand
„ anders, und den Schatten nicht solte von einem Corper zu unterscheiden
„ wis-
4NMERKUNGEN.
2. Eine gelbe Blume.] Man kan vorietzo nicht eigentlich gekommen und in eine todliche Liebes-Mattigkcit gesallen , auch
mehr fagen , in was vor eine Blume , Narciffus verwandelt wor- daher erft nach seinem Abfterben Narcissus genennet worden,
den. Denn unsere so genante Narcifle flehet gar nicht fo aus, 3. Pausanias.] Lib. IX.
wie fie Ovidius abschildert. Beym Plinius (a) und Diofcorides 4. Hedonacon.] Andere lefen Dtnacon. Der Abt Gedoyn
(£1 Sndet man auch ßefchreibungen davon. Der Nähme Narcif- dessen Franzolifcher Uberfi.tz.ung, wir uns bedienet, merket an,
sus komt her ^on dem Griechifchen Worte y*a^ , welches fo dafs die Benennung diefes Orts etwas ungewifs zu feyn fcheine i
viel heift als ~E'tnjcblafferung\ und die Blume , so die Narcifle ge- doch habe es das Ansehen , dafs an felbigem viel Schils-Rohr ge-
nennet wird, machet auch wurklich Schlaf. Daher haben einige Händen haben muffe, als welches im Griechifchen donax genen-
schlieffen wollen , als ob der Jungling in dieser Fabel durch das net wird,
lange Anfchauen feines Gefichtes im Waffer endlich von Sinnen
(«) Liv. ir. c. 19 (i) liv. 4. c. 160.
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