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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 6.1903

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Heft 10
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Vögtlin, Adolf: Die Macht der Schwachen: Idylle aus einer schweizerischen Kleinstadt
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Frey, Adolf: Arnold Böcklin und Gottfried Keller
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https://doi.org/10.11588/diglit.45537#0205

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geschildert hatte, war ebenfalls zugegen; er trat
selber ans Grab heran und legte einen Kranz
hin, den ihm ein Unterosfizier nachgetragen hatte.
Als die Leichenfeier beendigt war und alles
auseinanderging, schritt er auf Heinrich zu,
drückte ihm die Hand und sprach: „Ich bedaure
den Hinschied Ihrer Mutter; diese Frau war aus
dem Stoffe gemacht, aus welchem der Herrgott
sonst die Heldinnen schafft.“
Und auf dem Heimgang vom Begräbnis wagte
der Arzt ein Wort, wodurch er Philosopheme,
wie sie häufig seinem Munde entfielen, wenn
das Recht der Starken bei ihm Trumpf war,
Lügen strafte: „Ja, ja, Herr Oberst! Ich bin
ganz Ihrer Meinung; nur glaube ich überdies,
dass es nichts ist mit dem Recht des Stärkern,
d. h. dass die Menschheit nicht für dasselbe be-
sorgt zu sein hat, indem es immer von selbst
gegolten hat und immer gelten wird; ferner hat
man angesichts einer solchen Toten Grund zu
fragen, wer der Starke ist. Der Wille zum
Guten, will mir scheinen, macht die Menschheit
stark und hilft den Tod überwinden. Denn aus
der Opferung dieser Guten ersteht ein neues,

hoffnungsvolleres und edleres Geschlecht; die
Schwachen, die es manchmal nur äusserlich,
körperlich sind, verfügen oft über unsichtbare
Kräfte, die im stillen Grosses wirken. Lassen
wir also die Schwachen leben, denn sie erhalten
die Starken !“
Der Oberst verabschiedete sich diesmal vom
Arzte nicht nur mit militärischem Grusse, son-
dern drückte ihm in mitfühlendem Einverständnis
die Hand. Sein edles Benehmen gewann ihm
mit einem Schlage die Sympathie der Bürger
wieder. Die Folge war, dass die Beschwerden
von Bern aus diesmal gehört wurden. Die Ge-
meindeversammlung beschloss, nicht zuletzt unter
dem Eindruck von Heinrichs Meinungsäusserung,
dass dem leidigen Übelstand, gegen den der
Oberst mehrmals umsonst seine Autorität als
Platzkommandant aufs Spiel gesetzt, abgeholfen
werden solle. Aarwyl erfreut sich seitdem nicht
nur der neuesten Einrichtungen, wie einer
Wasserversorgung und des elektrischen Lichts,
sondern die Kaserne ist verlegt worden und be-
sitzt wie das Städtchen neben jenen Errungen-
schaften noch andere zweckmässige Anlagen.

Arnold Böcklin und Gottfried Keller.
Von Adolf Frey.

Im allgemeinen verlangte es Böcklin nicht
nach neuen Gesichtern. Einen Mann jedoch gab
es in Zürich, auf dessen Bekanntschaft und Um-
gang er spannte. Das war Gottfried Keller.
Vor ihrem persönlichen Zusammentreffen tru-
gen sich die beiden nicht die nämliche Schätzung
entgegen. Böcklin war durchdrungen von der
Grösse des Mannes, der den „Grünen Heinrich“
und die „Seldwyler“ verfasst hatte, während
Keller zwar mit Respekt, doch auch mit einer
gewissen Unsicherheit auf den Maler blickte,
ohne einen rechten Begriff von seiner Bedeutung.
Er hatte ausser den Werken der Schackgalerie
von Böcklin wenig gesehen, war aus der neue-
ren Malerei und ihrer Entwickelung heraus, schon
weil man in Zürich nicht viel davon zu sehen
bekam, und steckte noch ordentlich in den Er-
innerungen und Anschauungen eines Münchener
Landschafters von anno dazumal. Kaulbach z. B.
galt ihm immer noch als ein hervorragender
Künstler, an den er nicht rühren liess. Als ich
ihm Anton Springers Ansicht vortrug, dass Lud-
wig Richter wohl der bedeutendere von den
beiden sei, da brannte er nicht übel auf: „Was?
Der Kaulbach hat Gedanken und schöne grosse
Linien! Aber der Richter macht nichts als Füdle-
büble!“ Im Sommer 1877, bald nach unserer
Bekanntschaft, kamen wir auf Böcklin zu reden.
Es machte mir einen heute noch unverblassten
verblüffenden Eindruck, dass der Dichter meine

Begeisterung für den Maler nicht teilte. „Alle-
gorien und Gedankenbilder, wie er sie malt,“
sagte er, „haben andere auch schon gemalt.
Aber er malt sie mit mehr Farbe und mit mehr
Kraft. Z. B. auf einem Bilde in München reitet
derTod auf einem kräftigen Hagelshengst daher.“
Ein unanfechtbares Zeugnis für seine anfänglich
nur bedingte Würdigung Böcklins enthält der
kleine Aufsatz „Ein bescheidenes Kunstreischen“,*
wo es heisst:
„Unverhofft standen wir vor einem neuen
Bilde Arnold Böcklins, des Basler Mitbürgers
Ernst Stückelbergs, von dem wir eben kamen.
Kein merkwürdigerer Gegensatz hätte unser war-
ten können. Dort ein Kreis historischer Kom-
positionen, das Ergebnis ganzer Entwickelungs-
reihen und kombinierter Arbeit; hier eine
schimmernde Seifenblase der Phantasie, die vor
unsern Augen in das Element zu zerssiessen
droht, aus welchem sie sich gebildet hat. Es
ist wieder eine von Böcklins Tritonenfamilien,
die wir in ihrem Stilleben überraschen, ohne
dass sie sich stören lassen. Aus den hoch-
gehenden Meereswellen, unter den jagenden
Sturmwolken hebt eine Klippe ihren Rücken
gerade so viel hervor, dass die Leutchen darauf
Platz finden. Der Triton sitzt aufrecht, dunkel

* Gottfried Kellers nachgelassene Schriften und Dich-
tungen, herausgegeben von J. Bächtold. Berlin 1893. S. 23.

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