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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — 5.1920/​1921

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Frimmel, Theodor von: Eine auffallende Sehtäuschung
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https://doi.org/10.11588/diglit.52778#0135

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Verhältnis zum Gemessenen stehen. Dann gehen uns ja die höchst ver-
wickelten Bahnen, die ebenso vom Gemessenen wie vom Maß gleichzeitig
und gleichartig beschrieben werden, nichts an. Wir brauchen uns über die
Unbegreiflichkeit des Durcheinanderwirbelns von vielen, unendlich vielen
Sonnensystemen nicht weiter und gewiß immer vergeblich den Kopf zu
zerbrechen, sondern nehmen z. B. Papier oder Leinwand her und messen
darauf, so genau es eben unsere Werkzeuge erlauben. Alles übrige Messen
geht irgendwie auf das Anlegen des Maßstabes zurück. Wenn sich das zu
Messende und der Maßstab in verschiedener Weise bewegen, hört jedes
eigentliche Messen auf und die kühnsten Phantasien der Relativität können
da noch ausgedacht werden. Glücklicherweise versagt die Berechnungsmög-
lichkeit schon bei verhältnismäßig einfachen Aufgaben. Rechne mir einer
aus, welche Bahn im Weltraum ein bestimmter Punkt im Spurkranz eines
Rades an der Lokomotive beschreibt, die mit bestimmter Geschwindigkeit
auf einer Kurve von bestimmtem Krümmungshalbmesser fährt! Da eine be-
rechtigte Annahme dazu führt, daß in diesem Beispiel nicht nur die Drehung
der Erde um die eigene Achse, sondern auch der Umlauf um unsere Sonne
und die Bahn dieser Sonne um eine noch größere und so weiter zu be-
rücksichtigen ist, werden wohl die geschicktesten Rechner zugestehen, daß
ihre ganze Kunst, für die Erde so nützlich, im Weltenraum versagen muß.
Aber wohin gelange ich! Wollte ich doch nichts weiter sagen, als daß
wir uns auch über alles Gesehene zumeist in gröblicher Weise täuschen. Bei
großer Übung sehen wir einiges wenige ungefähr richtig, das wir oft nach-
gemessen haben, im übrigen sind wir über den Ort und die Ausdehnung
des Gesehenen einer unabsehbaren Reihe von Fehlschlüssen anheimgegeben").
Am klarsten wird uns dies durch die lange Reihe der Sehtäuschungen,
die in den meisten Fällen mit zwingenderWirkurig auftreten und beim Nach-
messen der Raumverhältnisse zweifellos ergeben, daß man anderes gesehen
hat, als es dem Auge vorgelegen hatte*) **). Ein solcher Fall ist mir längst bei
einem Gemälde von Hans Mielich bekannt, das sich in der Wiener Galerie
befindet. Ich meine das lebensgroße Bildnis des Herzogs Albert V. von
Bayern, das im Verlauf der Degenscheide eine recht einleuchtende Seh-
täuschung zu beobachten gibt. Die dunkle Scheide, sich schief nach unten
links gerade erstreckend, wird weiter oben bei den kurzen Pluderhosen
nochmals sichtbar, nur in kurzer Strecke. Auf dem Bilde selbst und auf der
Photographie***) läßt sich unschwer nachmessen, daß die Begrenzung des
unteren langen Stückes der Degenscheide und die des kurzen weiter oben
genau in derselben Geraden liegen. Dennoch sieht jeder beim geraden Hin-
schauen auf das Bild das obere Stück sehr merklich verschoben, so daß
die Zusammengehörigkeit der beiden Stücke in Frage zu kommen scheint.
Blickt man von der Seite auf das Bild ungefähr in der Blickrichtung, die
dem gemalten Verlauf des Degens entspricht, so tritt die Täuschung nicht

*) Dazu die Andeutung in „Studien und Skizzen für Gemäldekunde“ Bd. III,
Lieferung 9 und 10, S. 133 f. (Vortrag: „Vom Sehen in der Natur, Kunst und Wissen-
schaft“).
*") Dazu der eben angeführte Vortrag und meine ältere Schrift: „Vom Sehen in
der Kunstwissenschaft“ (Wien, F. Deuticke, 1897), wo reichliche Literaturangaben zu
finden sind.
***) Eine solche liegt vor im Verlag von Wolfrum in Wien.
 
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