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EIN EHEMALIGER „MICHELANGELO“ VERMUTLICH VON BARTHOLO-
MÄUS DE BRUYN DEM ÄLTEREN.
In der Baron Speck-Sternburgschen Sammlung zu Lützschena bei Leip-
zig befindet sich ein Gemälde mit einem lebensgroßen geharnischten Krieger
und einem grabenden Knecht daneben. Es stammt aus der Sammlung des
Brüsseler Arztes Dr. Francois-Xavier Burtin, der es anfangs für Holbein hielt
und dann als Michelangelo führte und verteidigte. Eine Radierung darnach
von Frederic Theodor Faber ziert Burtins „Traite theorique et pratique des
connaissances qui sont necessaires ä tout amateur de tableaux“ (Band II von
1808). Bei Speck-Sternburgs, welche das erwähnte Bild seit mehr als einem
Jahrhundert (seit 1812) besitzen, galt es nicht mehr lange als Michelangelo.
Es wurde bald auf Maerten van Heemskerck bezogen. Dies erhellt aus dem
Verzeichnis der Galerie zu Lützschena von 1827, in welchem es als Nr. 10
benannt wird: „Michel Angelo Buonaroti, oder, wie ich“ [es ist mit „ich“ der
alte Baron Speck-Sternburg gemeint! „eher glaube, Martin Heemskerk.“ Ebenso
steht es im Katalog von 1832. Auch im Galerieverzeichnis von 1840 erscheint
die Zuschreibung an Michelangelo fast gänzlich aufgegeben. Im Verzeichnis
von 1889 wird Heemskerck als Meister angenommen. Ich sah das merk-
würdige Bild vor Jahren im Erdgeschoß des Rittergutes zu Lützschena und
erkannte es als niederrheinisches Werk aus dem frühen 16. Jahrhundert. Eine
Verwandtschaft mit dem „Meister vom Tod der Maria“ und dem „Meister
der Anbetung durch die Könige“ ist nicht zu verkennen. An Heemskerck
kann ich in diesem Fall nicht glauben, ebensowenig an B. v. Orley, der in
neuerer Zeit für das Bild genannt wurde. Das großenteils undeutliche Mono-
gramm, das ich gegen rechts (vom Beschauer aus genommen) vorfand, läßt
als letzten Buchstaben ein lateinisches kapitales B mit Sicherheit unterscheiden.
Davor, recht unsicher, P oder D und wieder davor ein aufrechter Balken.
Zunächst wußte ich mir diese Schriftreste gar nicht zu deuten. Erst später,
gelegentlich eines Studienbesuches in der Stiftskirche Sankt Viktor zu Xanten,
fielen mir die nahen Beziehungen des Burtinschen „Michelangelo“ zu den
entsprechend großen Figuren des Barthol. Bruyn auf seinem Altarwerk be-
sonders auf. Eine Kriegerfigur in Xanten, ein römischer Krieger, lebhaft be-
wegt, bietet eine auffallende Analogie zum Krieger in Lützschena. Nun wurde
mir wenigstens das lesbare B im Monogramm des Bildes zu Lützschena
verständlich, und vermutlich ist das Monogramm BDB zu lesen. Ich hege
eigentlich keine großen Zweifel, daß wir in dem ehemaligen „Michelangelo“
einen monogrammierten B. de Bruyn vor uns haben. Das Bild ver-
rät allerdings in seinen massigen Formen eine starke Beeinflussung durch
Michelangelo. Das kann aber bei Bruyn nicht befremden. Es ist nach Bur-
tins Angaben auf Kastanienholz gemalt, dessen Kehrseite roh behauen ist,
was auf Italien deutet, doch ist die Malerei sicher niederrheinisch und nicht
vom großen italienischen Meister. Die äußeren Merkmale weisen zum Teil
auf Italien und nur zum Teil auf den Niederrhein. Bruyn könnte das Bild
in Italien gemalt haben. Eine Reise B. Bruyns nach Italien ist nicht urkund-
lich belegt, wenn auch als möglich hinzustellen. Sie müßte wohl vor 1518
stattgefunden haben. Denn später ist der Künstler nur in Köln, Essen, Xanten,
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EIN EHEMALIGER „MICHELANGELO“ VERMUTLICH VON BARTHOLO-
MÄUS DE BRUYN DEM ÄLTEREN.
In der Baron Speck-Sternburgschen Sammlung zu Lützschena bei Leip-
zig befindet sich ein Gemälde mit einem lebensgroßen geharnischten Krieger
und einem grabenden Knecht daneben. Es stammt aus der Sammlung des
Brüsseler Arztes Dr. Francois-Xavier Burtin, der es anfangs für Holbein hielt
und dann als Michelangelo führte und verteidigte. Eine Radierung darnach
von Frederic Theodor Faber ziert Burtins „Traite theorique et pratique des
connaissances qui sont necessaires ä tout amateur de tableaux“ (Band II von
1808). Bei Speck-Sternburgs, welche das erwähnte Bild seit mehr als einem
Jahrhundert (seit 1812) besitzen, galt es nicht mehr lange als Michelangelo.
Es wurde bald auf Maerten van Heemskerck bezogen. Dies erhellt aus dem
Verzeichnis der Galerie zu Lützschena von 1827, in welchem es als Nr. 10
benannt wird: „Michel Angelo Buonaroti, oder, wie ich“ [es ist mit „ich“ der
alte Baron Speck-Sternburg gemeint! „eher glaube, Martin Heemskerk.“ Ebenso
steht es im Katalog von 1832. Auch im Galerieverzeichnis von 1840 erscheint
die Zuschreibung an Michelangelo fast gänzlich aufgegeben. Im Verzeichnis
von 1889 wird Heemskerck als Meister angenommen. Ich sah das merk-
würdige Bild vor Jahren im Erdgeschoß des Rittergutes zu Lützschena und
erkannte es als niederrheinisches Werk aus dem frühen 16. Jahrhundert. Eine
Verwandtschaft mit dem „Meister vom Tod der Maria“ und dem „Meister
der Anbetung durch die Könige“ ist nicht zu verkennen. An Heemskerck
kann ich in diesem Fall nicht glauben, ebensowenig an B. v. Orley, der in
neuerer Zeit für das Bild genannt wurde. Das großenteils undeutliche Mono-
gramm, das ich gegen rechts (vom Beschauer aus genommen) vorfand, läßt
als letzten Buchstaben ein lateinisches kapitales B mit Sicherheit unterscheiden.
Davor, recht unsicher, P oder D und wieder davor ein aufrechter Balken.
Zunächst wußte ich mir diese Schriftreste gar nicht zu deuten. Erst später,
gelegentlich eines Studienbesuches in der Stiftskirche Sankt Viktor zu Xanten,
fielen mir die nahen Beziehungen des Burtinschen „Michelangelo“ zu den
entsprechend großen Figuren des Barthol. Bruyn auf seinem Altarwerk be-
sonders auf. Eine Kriegerfigur in Xanten, ein römischer Krieger, lebhaft be-
wegt, bietet eine auffallende Analogie zum Krieger in Lützschena. Nun wurde
mir wenigstens das lesbare B im Monogramm des Bildes zu Lützschena
verständlich, und vermutlich ist das Monogramm BDB zu lesen. Ich hege
eigentlich keine großen Zweifel, daß wir in dem ehemaligen „Michelangelo“
einen monogrammierten B. de Bruyn vor uns haben. Das Bild ver-
rät allerdings in seinen massigen Formen eine starke Beeinflussung durch
Michelangelo. Das kann aber bei Bruyn nicht befremden. Es ist nach Bur-
tins Angaben auf Kastanienholz gemalt, dessen Kehrseite roh behauen ist,
was auf Italien deutet, doch ist die Malerei sicher niederrheinisch und nicht
vom großen italienischen Meister. Die äußeren Merkmale weisen zum Teil
auf Italien und nur zum Teil auf den Niederrhein. Bruyn könnte das Bild
in Italien gemalt haben. Eine Reise B. Bruyns nach Italien ist nicht urkund-
lich belegt, wenn auch als möglich hinzustellen. Sie müßte wohl vor 1518
stattgefunden haben. Denn später ist der Künstler nur in Köln, Essen, Xanten,
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