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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Fünftes Heft (August 1916)
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Knoblauch, Adolf: Seidenfaden, [1]: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0060

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auf die Stube zum Bunten. Er macht Thee, wir
essen Abendbrot und gehen dann ade Drei im
Wald schlafen. Die Nächte sind ganz warm, nich
Bunter? Und Morgen früh sind wir viel früher
als die andren ekligen Puten aufgestanden, alle
denken, wir kommen vom Spaziergang."
Sine sprach mit der piepsigen Quäkstimme
ihres Bunten, wenn sie besonders zärtlich sein
wollte: „Bunter, Frau Gabriela kann ihrem Ollen
erzählen, daß sie in Berlin bei der Mutter über
Nacht bleiben mußte."
Frau Gabriela erglühte und erörterte eifrig den
Plan des nächtlichen Abenteuers. Seidenfaden
fügte sich gern in weibliche Entscheidungen. Die
Drei stahlen sich heimlich im Dunkel durchs Un-
terholz und schlichen in Seideniadens Stube.
Während Seidenfaden Thee machte, besichtigte
Frau Gabriela die völlig mit Sackleinen wie eine
Kiste auswattierte feine Stube von Sinens Bräuti-
gam. Eine dick mit violettem Tüll verhüllte Lampe
verbreitete einen magischen Schimmer und ließ
am Fuß grad so viel normales Licht auf den Tisch,
als der in Arbeit befindliche wüste Manuskript-
haufen erforderte. Lilaseidenvorhänge schwebten
im Nachtwind an den Fenstern, Seidenfadens Bett
war lila bemalt und lila verhangen.
Mitten auf dies Bett setzte sich Frau Gabriela
und drückte seinen weichen Bausch als Polster
in ihren Rücken. Sine sorgte keusch, daß das Weiß
des Bettes nirgends hervorguokte. Die Frauen
hatten sich gemütlich eingerichtet, sie erhielten
Thee mit Kuchen. Seidenfaden schmiegte sich
dicht an Sine aufs Bett, und beide tranken aus
demselben Glas. Beim Thee wurde den Frauen
warm und sie erzählten ein wenig Klatsch, bis
Sine bat: „Bunterchen, spiel uns auf der Geige
vor, was du dir nur für uns ausdenkst."
Seidenfaden stand auf und lehnte die Geige
ab. Aber er möchte ihnen gern aus seinem Roman
vorlesen: „Des Jünglings Siegel zerbrach!" Er
nahm einen Folianten, in rotes Sackleinen gebunden,
vom Tisch, legte ihn in den normalen Lichtfleck der
Liialampe und las bis Mitternacht vor. Dann
löschte Seidenfaden die Lampe, rückte eng an die
beiden Frauen aufs Bett, und warm zudritt
schauten sie dem Wehen der Vorhänge zu, die
sich bauschten und sich wie kleine Mädchen
zierten.
Als es Zeit war, schlafen zu gehen, stiegen die
beiden Frauen voran behutsam und geräuschlos
die Stiegen hinunter. Seidenfaden hatte gebeten,
daß die Kleider nicht im Flure rauschten, und
Beide hielten die Röcke knapp gefaßt. Kein
Streichholz durfte angezündet werden, denn das
Haus durfte nicht erfahren, daß der Herr Künstler
gleich Zweie auf einmal dahatte.
Auf dem steilen Weg zum See in der Nacht
lachten die Frauen, Frau Gabriela hakte sich in
Seidenfadens Arm, und zudritt eng aneinander ge-
schmiegt schritten sie am stillen See, im tiefen
Dunkel, unter Birken und wenigen Sternen. Die
Wälder heulten vom Gebell eines wütenden
Hundes. Sie stiegen in den Wald hinauf, Seiden-
faden breitete Mantel, Umhänge, Decken und
Kissen in der Finsternis auf dem Nadelboden aus,
dann legten sich alle drei. Die Frauen schmiegten
sich an ihn und er hielt Beide umarmt.
Seidenfaden, ohne Furcht und Tadel, war ent-
haltsam: nie brauchte Don Quijote eine solche
Feuerprobe der Keuschheit abzulegen. Die Frauen
deckten sich mit Seidenfaden gut zu, und sie
ruhten liebegenießend bis zum Aufgang der Sonne.
Als sie eingeschlafen waren, wachte der uner-
müdliche Bunte über ihren Schlaf.
Der kalte, eisig-tauige Morgen machte endlich
Seidenfaden schläfrig. Da erhob sich Frau Ga-

briela leicht und flink, verbeugte sich vor dem
Liebespaar, gab Seidenfaden einen Kuß und ver-
schwand, um mit dem ersten Zug aus Berlin zum
Ollen helmzukehren und ihm seine Hafersuppe zu
kochen, bevor er zur Arbeit fuhr. Auch Sine war
schleunigst aufgestanden. Nur Seidenfaden war
geblieben und schaute träumend auf seinen Decken
der holden Liebsten nach. Sine winkte mit dem
breitrandigen Gretchenhut und schüttelte stumm
ihr dunkelhaariges Haupt zum Abschied.
Seidenfaden stand auf, sammelte das Nacht-
lager zusammen, und ging feurig von Liebe,
Frauen, Welt, glückheiß unter Kiefern als zwischen
Tempelsäulen. Er hatte mit zwei schönen Frauen
eine Nacht geschlafen und er hatte keine berührt,
hatte sich nicht im Fleische vermengt. Er war
der Beseelte, der Bunte, Stern des Bundes, prä-
raffaelitischer Ritter, der die Frauen im Geiste
liebte.
* *
*
Lila Morgenrot stand über der grauen Erde im
Osten. Eine kalte, klare Nacht war zu Ende.
Seidenfaden schlüpfte aus Sinens Bett und zog sich
hastig an, während Sine müde in den Kissen blieb.
Es würde Sine garnicht einfallen, aufzustehen,
wenn sie nicht Seidenfadens Rückzug zu decken
hätte. Sie gedachte bitter all der Frauen, die
Morgens mit dem Liebsten liegen bleiben und
sich der Sonne erfreuen dürfen, wenn sie spät auf
die Betten schien. Sie legte ihren Mantel um und
stand bei ihrem Bunten. Er hob seine Hände zu
ihren Wangen, streichelte und küßte sie. Dann bog
er ihr Haupt sacht und legte es an seine Wange.
Andächtig murmelte er die Melodie, die er zu
Georges „Weißen Aras" komponiert hatte.
Sine hatte an ihn geschmiegt die ganze Nacht
tief geschlafen, während er ihren Schlaf hütete.
Müde sehnte er sich in seine Stube, um auszu-
schlafen. Er nahm seine Stiefeln in die Hand und
schlich behutsam an den Türen der Dollingschen
Familie vorüber, gewann die Treppenbahn und
lief zur Halle hinunter, ln diesem Augenblick
ging Sine mit festen Schritten die Galerie entlang
zum Oertchen, um ein etwaiges Geräusch des
Liebsten zu maskieren. Seidenfaden durcheilte
vom Treppenpodest aus quer die Halle, als Dollings
neues Kinderfräulein, das seit einigen Tagen auf
Lauer lag, zur Treppenbrüstung sich herabbeugte,
Seidenfadens Magier-Spitzhut und seinen Zauber-
Umhang im Wind der Freiheit sich bauschen sah.
Sie war aufgeweckt durch Sines Gang.
Die Liebenden waren auf frischer Tat ertappt.
Das Fräulein lief zu Frau Dolliing, die noch schlief.
Mit Entrüstung des verletzten Schicklichkeitsge-
fühls, mit Neid auf die glückliche Geschlechtsge-
noßin, die einen Genuß gehabt hatte, den sie sich
im Augenblick nicht leisten konnte, mit Haß auf
das freche Stiefkind — erhob sich Frau Dolling
und ging zu ihrem Mann, der in der Frühe seine
Kritik arbeitete. Sie holte ihn ins Schlafzimmer
und hielt ihm einen Vortrag über die Gewohn-
heiten seines Töchterchens.
Seidenfaden hatte bereits einige Male anzu-
deuten versucht, welche Hoffnungen, welche
ernsten, beachtlichen Wünsche er hegte. Er hatte
Dolling ersucht, ihm mit Sinen Eines der Familien-
zimmer, das nicht ausgenutzt war, als Ehestube
einzuräumen. Eines genügte ihnen und es bliebe
ihnen die Zahlung der Miete erspart. Seidenfadens
Zumutung hatte Dolling erbost und er wies sie
rundweg ab. Des Vaters Ablehnung verursachte
der stolzen Sine Schwermut in ihrer Maienzeit.
In ihr vereinsamtes Liebesstüblein stürzte der
von der giftigen Hornisse Stiefmutter gestochene
Dolling, beschimpfte die Tochter im Bett als

Strassenmädchen, und verbot die nächtlichen Be-
suche Seidenfadens. Sine starrte ihren Vater an,
den sie selbst auf literarischen Festen von Mäd-
chen zu Mädchen hatte nippen und küssen sehen:
er verbot brutal den Frauen die Genüsse, die
jedem Herrn freistanden. Sie bekam einen Anfall
von hysterischem Schluchzen, schrie, der Vater
solle auf der Stelle hinausgehen, und der Vater
verließ befriedigt die Stube, stolz darauf, die
Weiber-Angelegenheiten in Reihe gebracht zu ha-
ben. Frau Dolling fuhr gleichgültig nach Berlin
und das Haus lag still und öde.
Sine tat Salmiakgeist, den sie zum Kleider-
reinigen brauchte, in ein Gias mit Wasser. Das
würde vielleicht scheußlich brennen, aber schaden
konnte es nicht. Sie wusch sich, machte das Haar
und steckte es in einen süßen Knoten auf, legte
Schminke auf für Blässe, zog ihr Kleid vom letzten
Feste an, deckte die braune Samttisdhdecke
aus Dollings Wohnzimmer über ihr Bett, flocht
einen Blütenzweig ins Haar, schloß die Fenster,
zog die Vorhänge dicht vor, zündete die Kerzen der
beiden Wandleuchter an, stellte das Glas mit Sal-
miak auf ihrem Nachttisch zur Hand und streckte
sich schließlich aufs Bett aus, um in Schönheit den
„Todestrank" zu nehmen.
Sine stellte sich vor, daß sie sterben würde:
Wenn der Salmiak wirklich Gift wäre? So lag
sie ein Weilchen. Dann wurde ihr schauerlich zu
Sinn, sie nachtwandelte im Mondschein am Dach-
rand, wie schauerlich ihr Gehen war, einsam,
hülflos. Sie lag tot, bekränzt auf dem Bett, und der
junge Dante trat zu Beatrix und kniete vor der
Entschlafenen. Sine zupfte an ihrem Bett, strich
die stillosen Falten heraus, streckte sich wage-
recht, legte die Hände edel zum Busen und richtete
ihr teilnamlos wächsernes Angesicht zur Zimmer-
decke auf. Kränze und klagende Freundinnen.
Frau Gabriela kam, die erschrockene Stiefmutter.
Und dann tritt Dante-Seidenfaden über die
Schwelle, um Sinens feierlichen Tod wahrzu-
nehmen, kniet nieder am Bette.
Aber sie starb durchaus nicht, den Gefallen
tat sie der Stiefmutter gewiß nicht, solange sie
lebte. Sie nahm das Glas und trank den dummen
Salmiak auf einen Zug herunter. Sine brüllte aus
Angst vor der Säure um Hilfe, blieb aber steif
liegen, um nicht die Linie ihres Sterbebettes zu
verrücken. Die Kinder holten auf das Gebrüll den
Vater, der zur Tochter stürzte. Er rang die Hände
und rief: „Kind, besinne dich!" öffnete ihre Bluse
und wollte ihre Brust aus dem Glas auf dem
Nachttisch einreiben, als sie „Gift" hauchte, „ich
habe mich vergiftet, Vater", und in neue Ohn-
macht sank.
Das ganze Haus lief vor Sines Tür zusammen.
Man beeilte sich, den Arzt zu holen, um irgend
möglich Sinen noch zu retten. Der junge Arzt
kam, aber als Sine durch den Arzt ihren ganzen
„Selbstmord" gefährdet sah, wurde sie tobsüchtig,
stieß mit Händen und Füßen nach ihm und dem
Vater, obgleich sie ihre edle Sterbelinie dadurch
verrückte. „Sie bringen mich um", schrie sie ver-
zweiflungsvoll, „fort, zur Hilfe! Polizei!" Sie biß
in die Decke, schlug mit der Faust gegen den
Nachttisch, daß das Glas zu Boden stürzte und
zerbrach. Der Arzt hatte ihren Tobsuchtsanfall
hervorgerufen, als er sich über das Glas beugte
und daran roch. Er hatte gelächelt und „Salmiak"
gesagt.
Unverrichteter Dinge mußte der Arzt ab-
ziehen. Der arme Dolling war zusammenge-
brochen und stammelte, indem er Sine umschlang:
„Mein einziges Melusinchen, mein Mäuschen. Du
sollst doch den Liebsten behalten, keiner nimmt
ihn dir. Seid zusammen, so oft ihr wollt, nur

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