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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Sechstes Heft (September 1916)
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Baum, Peter: Kyland
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0072

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diene es nicht, weil ich es nicht ausnutze, mich
nicht dem Herrn bemerkbar maohe. Wer die
Hand nicht aufmacht vor der Gäbe der Götter,
vor dem verschließt sie sich." Piao verstand nicht,
was sie meinte. Aber die Worte „verdienen" und
„ausnutzen" gingen nicht aus seinem Kopf. Er
fühlte eine unbestimmte Verachtung gegen die
Dienerin.
Später kam er in die Tempelstadt. Die Götter-
lehre der Kyer hatte sich während ihrer Wande-
rungen manchmal verändert, hatte fremde Reli-
gionen kunstvoll ihrem Bau eingefügt. Die vielen
Köpfe der Götter waren ihr zuerst fremd. Das
unterjochte Volk glaubte an sie. Die Priester ent-
nahmen ihr die Offenbarung, daß die vielen Fähig-
keiten des Erschaffers sich einst so ungestalt aus-
drückten. Auch die Göttlichkeit der Schnecken
nahm man auf. Sie seien Kinder des Erde tragen-
den Gottes, der sich hier und da vor dem Er-
schaffer in den feuerspeienden Berg verkrieche.
Als Plao gefragt wurde, wie die Welt entstand,
antwortete er, daß Gott seines Lichtes müde, die
Augen zutat, worauf die Dunkelheit sich um ihn
zusammenschloß. Da flimmerten vor seinen Augen
Kugeln, Regenbogen, grüne Gewässer, Bäume und
große Edelsteine. Denn zuerst waren alle Welten
glänzend. Schon schwammen Tiere und begin-
nende Menschen in den Farben. Das war der Be-
ginn der Welt, die erst später braun und hart
ward.
Die Priester lächelten und fanden die Antwort
gut. Nur sei er noch Zu jung zu solchen Fragen.
Vorläufig solle er nur das erwidern, was ihn ge-
lehrt werde. Doch habe er die Verwandtschaft der
Götter und Menschen gut begriffen. Nach und
nach lernte er die einzelnen Priester kennen.
Da war ein Blinder, der jedem, der hinzutrat,
die Hand umfaßte und ihre Form fühlend, ihn er-
kannte.
Ein anderer war lang und hager mit schnell
d'Urchblickenden Augen. Seine Nase, die bei allen
Kyem außer bei Plao oben leicht gebogen war,
erinnerte den Knaben an den Messerberg, der von
einer Spitze nach beiden Seiten mit seinem schar-
fen Rücken gegen den Horizont parallel abstürzte.
Die Priester bewunderten ihn, weil er kühne
mathematische Schlüsse fand. Das langsam ge-
duldige Anschauen und Beobachten der Gänge der
Himmelslichter war nicht seine Freude. Aber er
durchmaß den Raum auf den Tafeln, die man ihm
brachte, und berechnete, was die andern geschaut
hatten. Plao bemerkte sofort, daß er jenen ab-
stieß. Den Knaben interessierte, daß er als ein-
ziger Priester beim Ausfall gegen die Klitten,
einen Spieß in der Hand, angeführt hatte.
Mathematik und Dichtung waren außer der
Sternbeschauung und Sternenwissenschaft die
heiligen Dinge, womit die Schüler und einige
Schülerinnen den Tag hinbrachten. Später wurden
einige wenige in die ersten Gänge des Geheim-
nisses eingeführt.
Plao, der oft vor sich hinmurmelte: „Ihr wißt
ja nicht, wer ich bin", fühlte sich allem Heiligen
nah und glaubte daher, er werde große Begabung
in der Mathematik zeigen. Hier begriff er bald
wenig noch, weil seine Gedanken nicht ständig
auf demselben Weg bleiben konnten. Seinen
Vater bekümmerte es, weil er auch einsah, daß
er nie ein Führer im Kriege werden würde. Es
fehlte ihm dazu das Ortsgefühl. Er konnte schon
nicht den* Weg zurückfinden, den er gegangen
war. Denn unterwegs war ihm die Umgebung
vor aufsteigenden Gesichten abhanden gekommen.
Manchmal wies er andern den Weg, den er eben
gegangen war, indem et sagte, er solle den breiten
Elefantenweg gehen, wo er eben erst auf dem
schmaler! Sohleichpfad gekommen war. Er sagte

es bestimmt, denn eine Anschauung von dem eben
Erlebten tauchte sofort auf, wenn er gefragt wurde.
Bei den Kriegsspielen der Knaben im Kinderhof
liebte er es, sich allein gegen den dastehenden
feindlichen Schwarm zu stürzen. Er verschwand
einen Augenblick im dichten um ihn geballten
Knäuel und kam lachend mit Beulen am Kopf dar-
aus hervor. Auch wenn die gedrängten beiden
Haufen gegeneinander liefen, war er immer vor-
an. Die Achtung, die es ihm eintrug, schwand
bald, als man sah, daß er kaum losschlug, sondern
nur wild mit den Armen durch die Luft fuhr.
Einige machten sich ein Vergnügen daraus, ihn in
"den Bauch zu stoßen, auch außerhalb der Kriegs-
spiele, und man lachte über die Verrenkungen die
sein Körper dann machte. Wenn man nicht Krieg
spielte, ging er nämlich schlafwankend einher,
und es machte Spaß, ihn so zu wecken.
Als ihn so der hagere Priester mit der Berg-
rückennase sah, sagte er in verachtendem Ton:
„Du bist ja garnicht lebendig!"
O, lebendig war er schon, meinte er vor sich
hin. Es wimmelte von schnellenden Bewegungen
und sich auseinander ringenden Gestalten vor
seinen gesenkten Lidern. Er hatte lange Wim-
pern, weshalb ihm der Priester beim Abgehen:
„Mädchen!" zurief. Diese Begegnung war einen
Tag nach seiner Aufnahme in die Priesterstadt
gewesen. Nach dem ersten Unterricht sprach
der Priester nur noch in höhnischem Tone zu ihm.
Er erwiderte es nicht mit Haß, dazu bewunderte
er zu sehr sein kühn geformtes Antlitz.
Er gewöhnte sich nach und nach daran, sich
selbst, wie er sich gab, zu sehn, und er fand so
wenig seinen Beifall vor sich, daß er die wohl
verstand, die ihn nicht mochten. Sogleich als er
kam, hatte er eine iihm und den anderen furcht-
bare Gewohnheit angenommen. Als er vor die
Priester geführt wurde, mußte er sich verneigen.
Seit der Zeit verneigte er sich vor jedem Priester;
auch wenn er tief über der Arbeit hockte, sprang
er auf, um es zu tun, wenn einer hereintrat. Er
hörte wie der hagere Prieste zu den andern sagte,
-er sei sehr blödsinnig. Aber er tat es immer von
neuem, wie sehr man ihm auch vorstellte, daß er
sich fremdländisch betrage, das Schlimmste, was
man in Kyland sagen konnte.
Der blinde Priester sagte:
„Es ist keine Schmach, ein Fremder zu sein.
Aber wir Kyer sollten Fremde nicht zur Gemahlin
heimbringen, ebenso wie kaum einer von uns um
eine Aeffin werben würde."
„Aber die Vornehmen des unterworfenen Vol-
kes."
„Es ist kein uns Fremdes wie die andern. Ha-
ben wir ja ein besiegtes Volk unter uns wohnen
lassen. Wir kennen nicht die Verwandtschaft mit
uns, aber wir fühlen sie. Kein Priester darf eines
ihrer Mädchen zur Gemahlin nehmen. Plaos
Mutter ist zu demütig in ihm. Er fühlt es selbst
und leidet darunter."
Ein ebenso greiser, der Priester Weset, der
immer mit dem Blinden, welcher der oberste
Priester war, zusammen saß, erwiderte zornig:
„Vielleicht bringt die Mündung eines Flusses in
anderes Blut uns dem Wesen näher. Wir sind
selbst zu göttlich geworden, um mit ihm noch
Zusammenwind zu haben. Was er über die Er-
schaffung sagte, war doch die Lehre, ohne unser
Zutun gefunden. Fügen wir nicht Bilder aus Län-
dern aller Völker in unsere Dichtungen? Wir
verachten also nicht ihre Gesänge, wie das Volk,
das ihr Bestes auf die Art empfängt. Wir sollten
auch die Mischung der Menschen öfter vornehmen,
ob nicht Offenbarung daraus dampft."
„Nicht zu oft", erwiderte lächelnd der Blinde.
„Ich sähe das Königsblut gern rein, obwohl das

gerade den Versuch auffälliger machte. Dich-
tungen und Menschen dürfen sich mischen, gewiß.
Aber nur als Ausnahme. Und Priester sollen die
augenlose Liebe bewachen."
Dann bekämpfte man wieder die von dem
Blinden aufgerichtete und von den andern immer
wieder umgeworfene Lehre, daß die Sterne und
die Erde gleicher Art und alle in einem dünnen
Wasser schwebende Kugeln seien; die Erde war
die größte für uns, aber vielleicht nicht für die
Götter. Auf seinen Wunsch goß man wieder das
Oel aus der heiligen Lampe in eine Schale Wasser.
Triumphierend glitt sein blinder Blick umher. Er
brachte sie zum Kreisen und bemerkte am Ge-
räusch der Bewegungen seiner Gegner, wann die
Kügelchen sich von ihr lösten, um sie mitschwan-
gen.
Er hatte dieses Spiel einst angeordnet und Be-
wunderung damit erregt. Doch wollte man nur
in ihm eine einzelne Erscheinung sehen und kein
Gesetz erkennen.
„Wenn die kleinen Kugeln sich um die großen
drehen", sagte der Blinde, „so sind die Lebewesen
auf den kleinen umgekehrt zwar viel kleiner, aber
vollkommener als die Bewohner der großen, wie
auch die Bienen und Ameisen auf der Erde voll-
kommenere Staaten bilden als die Menschen, bei
denen die Willkür jeden Augenblick alles unvoll-
kommen läßt."
Hier wurde Weset wütend:
„Bienen, Ameisen und Sterne sind von Gott
verlassene Weltsysteme und darum unabänder-
liche Mathematik. Aber er beachtet sie nicht
mehr, sie sind keine Vollkommenheiten, die sich
ewig zu andern Vollkommenheiten wandeln, wie
die Menschen und alle Körper, in denen er noch
lebendig formt."
Alle lächelten. Man nannte sie, weil sie immer
zusammen waren: den Gott mit den zwei feind-
lichen Köpfen.
Plao vernahm die Schmähung seiner Mutter
und bekam einen Haß auf die Kyer. Bald darauf
saß er wieder vor dem Hageren, der ihn nicht so
schonend verachtete, wie der Blinde. Seinem Hohn
entgegnete er mit seinem Blick, der dessen Ge-
sicht bewunderte. Dann fragte er sich, ob die
Umkehrung der Gefühle, die die Dienerin nach
dem Tode annahm, nicht als unheimliche Wirk-
lichkeit schon unter dem Leben lauere.
Bald mußte er über sich selbst lachen. Wenn
er etwas rasch begriff, zürnte er dem, der das
nicht fassen konnte. Er verachtete ihn unwillkür-
lich. Dadurch wurde ihm der Hagere wieder
näher gebracht, der ihm gegenüber so empfand.
Nach und nach fand er sich bei einigen Knaben
zurecht. Sie waren zutraulich zu ihm, und er
sprach zu ihnen bald ungezwungen. Bei den Prie-
stern und ihren Frauen gab er merkwürdige
Antworten auf alle ihre Fragen. Immer wieder
,sc!hüttelten sie fragend die Köpfe, ob er
nicht doch den manchmal vorkommenden
Blöden zuzuzählen sei. Einmal fragte ihn
der Blinde, von dem gesagt wurde, sein
Ohr sei so lauschend weise, daß er am Fluge
des vorbeiziehenden Schmetterlings seinen Art-
namen und Farbengestalt wisse: „Nun, was macht
der kleine Plao?" „Ich gehe", antwortete er, tief
überzeugt, indem er weiterschritt. „Nein, du
kriechst", erwiderte der Blinde zornig, „und einen
Augenblick, als du kamst, dachte ich, du flögest."
Einmal zeigten sie ihm das Rundbild eines
Vogels im Fluge, welches mit den Klauen über
einem Brettchen befestigt war. Er fragte wie
verwundert, ob das Holz angewachsen sei. Als
man ihn frug, ob er scherze, antwortete er tief-
ernst: Nein, er habe es so gemeint. Er litt sehr
unter den geringschätzigen Blicken und schämte

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