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Zeitschrift für christliche Kunst — 25.1912

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Hasak, Max: Der Baumeister mit den zwei Halbmonden
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337

1912. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 10.

338

auf dem uns dieselben zwei Halbmonde ent-
gegenblicken. Ein benachbartes Adelsgeschlecht
von Magenheim führt diese Halbmonde eben-
falls im Wappen1). War der Baumeister ein
Magenheimer? Oder hatten die von Magen-
heim diese Bauteile gestiftet? — Und drüben
über dem Waldesrücken auf der Burg Neip-
perg finden wir in dem einen Bergfried einen
gleichen Kragstein, dessen Unterseite diesmal
aber neben dem Magenheimschen Halbmond
mit einem Neippergschen Ring geschmückt
ist. Ein Graf von Neipperg war 1210 Abt in
Maulbronn. Um diese Zeit sind die Bau-
teile mit den Halbmonden in Maulbronn ent-
standen. Trotzdem will sich des Geheimnisses
Schleier in Maulbronn allein nicht lüften
lassen. Mir, dem Norddeutschen, aber kamen
diese Einzelheiten bekannt vor, selbst die
Halbmonde wollten sich als alte Bekannte
vorstellen. Aber wo waren
sie mir schon begegnet ? Das
konnte nur im Bischofs-
gang des Magdeburger
Domes der Fall gewesen
sein. Und in der Tat — nicht
allein die Halbmonde mit
ihren Kragsteinen schauen
uns dort verständnisinnig ent-
gegen, als wollten sie noch
nach siebenhundert Jahren dem aufmerk-
samen Betrachter ihr Geheimnis aufdrängen :
dieselben Säulchen mit ihren zweifachen
Kapitellen, die immer abwechselnd franzö-
sische Hörner und rundlich gelappte Blätter
zeigen, die gleichen Rippen, Gurten und
Rosetten - Schlußsteine; selbst die lang-
gestreckten Fenster und die Strebepfeiler mit
ihren Lilienendigungen, alles aufs Haar in
Magdeburg wie in Maulbronn. Diese ver-
bindende Gleichheit kann nur derselbe Bau-
meister zustande gebracht haben. In Magde-
burg stifteten die Magenheimer den Bischofs-
gang wohl nicht; die beiden Halbmonde
können also nur das Erkennungszeichen des
Baumeisters sein. Sind sie ein Wappen?
War er ein Magenheimer selbst, oder stammte
ei aus ihrem Ort? Unbarmherzig halten die
Halbmonde ihr Geheimnis fest.

Vergeblich sucht die schaffende Phantasie
die Gestalt des Baumeisters zu ergründen. —
Doch da kommt ihr die Magdeburger Volks-
übei lieferung zu Hilfe. Im Dom selbst, am

') Paulis. Die Ztaewiewer-Abtei Maulbronn«.

südwestlichen Vierungspfeiler, ist er ja abge-
bildet, und Bohnensack hat er geheißen. Die
beiden Halbmonde sind zwei Bohnenschoten.
Und in der Tat, unter einem Kragstein,
an der gleichen Stelle, wo auch in anderen
Bauten die Baumeister mit Inschrift abgebildet
sind, kauert ein Mann in Laientracht, welcher
den Stein scheinbar stützt. Auch eine In-
schrift hat daran gestanden, und einige Buch-
staben des Namens Bohnensack will man noch
erkannt haben2).

Doch zu sehen ist nichts mehr, und die
ungestillte Phantasie muß weiter schaden.
Aber meine Zeilen hatten auf die Halbmonde
aufmerksam gemacht, und wieder ließ sich ein
weiterer Zipfel des Geheimnisses lüften. Pro-
fessor Mohrmann in Hannover wies mich dar-
auf hin, daß in Walkenried am Harz die
gleichen Halbmonde vorhanden seien. Ein
Besuch in dem reizenden Tal-
grunde bestätigt nicht nur das
Dasein eines Kragsteines mit
den beiden geheimnisvollen
Halbmonden, auch sämtliche
Einzelheiten in Gewölberippen
und Schlußsteinen, wie die
kleinen Kleeblattnischen des
Magdeburger Chores, sieht
man in Walkenried wieder.
Ja, in Walkenried hat der Baumeister mit den
Halbmonden eine noch größere Aufgabe lösen
dürfen. Nicht bloß einen Teil, wie zu Magde-
burg, nein, die ganze riesige Kirche hat er
ersichtlich begonnen, und nach seinen Zeich-
nungen ist sie vollendet worden. Ein glor-
reiches Werk!

Hier in Walkenried drängt sich aber ein
neues Erkennungszeichen für den großen
Meister uns entgegen.

Hoch oben in der Chorruine sitzt ein
antikes Kapitell aus dem Magdeburger Dom !
Danach hätte er zuerst in Magdeburg gebaut
und dort die antiken Kapitelle kennen ge-
lernt, falls die „antiken" Kapitelle des Domes
wirklich antike Kapitelle wären3).

Man hatte geglaubt, Otto der Große hätte
sie seinerzeit aus Italien herbeiführen lassen,
und der Baumeister des neuen Domes hätte
sie, wie er ersichtlich die alten Granitschäfte

•) Haiak, »Zur Geschiente des Magdeburger
Dombaues« (Berlin 1896).

3) Zentralblatt der Hauverwaltung (Berlin 18(1?)
S. 552 ff. (Hasak, Walkenried).
 
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