Mitteilungen und Herichte.
Der Kaiſer Hadrian. Gemälde der römiſch-helleniſchen Welt zu ſeiner
Zeit. Von Ferdinand Gregorovius. Zweite neugeſchriebene
Auflage. Stuttgart, J. G. Cottaſcher Verlag, 1884. X und
505 Seiten. Eleg. broſch. M. 10. —
Die Geſchichte der römiſchen Kaiſerzeit gehört gewiß zu den wundeſten
Punkten in dem Wiſſenskreiſe vieler Gebildeten. Schon in den Mittelſchulen
verfällt ſie nur zu oft dem Schickſal des Ueberſchlagenwerdens. Es iſt ſehr be—
greiflich, daß der Lehrer ſich bei der Darſtellung der Republik, ihrer äußeren
Erfolge, ihres inneren Baues länger aufhält, als eine ſtrenge Oekonomie in der
Behandlung des Lehrſtoffes geſtatten kann, daß die Kämpfe zwiſchen Patriciat
und Plebs, daß Hannibal und die Scipionen, die Gracchen, Marius, Cäſar und
Octavianus das Intereſſe ſo nachhaltig feſſeln, daß es ſchwer wird, ſich von
ihnen loszureißen, ſobald die Spanne Zeit verronnen iſt, die man für ſie zu
verwenden hat. Will man den Schülern nur ſo viel Muße gönnen, daß ſie ſich
in die Verhältniſſe wirklich einleben können, auf deren genauere Kenntnis ſie
ſchon durch die Litteratur hingewieſen werden, mit welcher ſie ſich jahrelang
beſchäftigen, ſo verfliegen die Semeſter, und die erſten Jahrhunderte unſerer
Zeitrechnung mtiſſen im Laufſchritte durchmeſſen werden, damit man ohne allzu
große Verſpätung bei der Völkerwanderung anlangt. Da bleibt dann im beſten
Fall außer einer langen Namenreihe, vielen Zahlen und einer dumpfen Erinnerung
an Grauſamkeiten, Feldzüge und gewaltſame Todesfälle nicht viel haften, oft
auch dies nicht. Und wer ſollte darüber klagen? Wie könnte ein jugendliches
Gemüt ſich mit dem Geſchick eines überreifen Staatsweſens, einer gealterten,
dem Untergange zueilenden Welt zurechtfinden, in der es vergebens nach fri—
ſchen, fröhlichen Thaten, nach Helden und freundlichen Geſtalten ſucht? — Wenn
die Cimbern und Teutonen zum erſtenmal über die Weltbühne geſchritten ſind,
wenn des Tacitus „Germania“ das Bild der Männer entrollt hat, die im Teuto—
burger Walde die römiſchen Adler zu Falle gebracht, dann iſt der Blick unſerer
Jugend auf die Ahnen des eigenen Volkes gerichtet, der Weidenſchild und die
Framea ſtehen ihrem Sinne näher als der Purpur des Imperators und die
Millionen der römiſchen hohen Finanzwelt.
Es bedarf einer gereiften Welterfahrung, um zu erkennen, wie lehrreich für
den modernen Menſchen das Studium von Zuſtänden iſt, deren Aufbau auf
einer großartigen Anſammlung von Kultur, materieller und geiſtiger Macht ſo
manche Parallele mit der Gegenwart bietet. Eine Ahnung davon wird wohl
den meiſten denkenden Beobachtern der menſchlichen Geſchicke dämmern, das Ver—
Der Kaiſer Hadrian. Gemälde der römiſch-helleniſchen Welt zu ſeiner
Zeit. Von Ferdinand Gregorovius. Zweite neugeſchriebene
Auflage. Stuttgart, J. G. Cottaſcher Verlag, 1884. X und
505 Seiten. Eleg. broſch. M. 10. —
Die Geſchichte der römiſchen Kaiſerzeit gehört gewiß zu den wundeſten
Punkten in dem Wiſſenskreiſe vieler Gebildeten. Schon in den Mittelſchulen
verfällt ſie nur zu oft dem Schickſal des Ueberſchlagenwerdens. Es iſt ſehr be—
greiflich, daß der Lehrer ſich bei der Darſtellung der Republik, ihrer äußeren
Erfolge, ihres inneren Baues länger aufhält, als eine ſtrenge Oekonomie in der
Behandlung des Lehrſtoffes geſtatten kann, daß die Kämpfe zwiſchen Patriciat
und Plebs, daß Hannibal und die Scipionen, die Gracchen, Marius, Cäſar und
Octavianus das Intereſſe ſo nachhaltig feſſeln, daß es ſchwer wird, ſich von
ihnen loszureißen, ſobald die Spanne Zeit verronnen iſt, die man für ſie zu
verwenden hat. Will man den Schülern nur ſo viel Muße gönnen, daß ſie ſich
in die Verhältniſſe wirklich einleben können, auf deren genauere Kenntnis ſie
ſchon durch die Litteratur hingewieſen werden, mit welcher ſie ſich jahrelang
beſchäftigen, ſo verfliegen die Semeſter, und die erſten Jahrhunderte unſerer
Zeitrechnung mtiſſen im Laufſchritte durchmeſſen werden, damit man ohne allzu
große Verſpätung bei der Völkerwanderung anlangt. Da bleibt dann im beſten
Fall außer einer langen Namenreihe, vielen Zahlen und einer dumpfen Erinnerung
an Grauſamkeiten, Feldzüge und gewaltſame Todesfälle nicht viel haften, oft
auch dies nicht. Und wer ſollte darüber klagen? Wie könnte ein jugendliches
Gemüt ſich mit dem Geſchick eines überreifen Staatsweſens, einer gealterten,
dem Untergange zueilenden Welt zurechtfinden, in der es vergebens nach fri—
ſchen, fröhlichen Thaten, nach Helden und freundlichen Geſtalten ſucht? — Wenn
die Cimbern und Teutonen zum erſtenmal über die Weltbühne geſchritten ſind,
wenn des Tacitus „Germania“ das Bild der Männer entrollt hat, die im Teuto—
burger Walde die römiſchen Adler zu Falle gebracht, dann iſt der Blick unſerer
Jugend auf die Ahnen des eigenen Volkes gerichtet, der Weidenſchild und die
Framea ſtehen ihrem Sinne näher als der Purpur des Imperators und die
Millionen der römiſchen hohen Finanzwelt.
Es bedarf einer gereiften Welterfahrung, um zu erkennen, wie lehrreich für
den modernen Menſchen das Studium von Zuſtänden iſt, deren Aufbau auf
einer großartigen Anſammlung von Kultur, materieller und geiſtiger Macht ſo
manche Parallele mit der Gegenwart bietet. Eine Ahnung davon wird wohl
den meiſten denkenden Beobachtern der menſchlichen Geſchicke dämmern, das Ver—