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Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte — 1.1884

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Mitteilungen und Berichte
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Sauer, August: [Rezension von: Wilhelm Scherer, Geschichte der deutschen Litteratur]
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Karl Müllenhoff
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https://doi.org/10.11588/diglit.52613#0331

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Mitteilungen und Berichte. 319

und warme Beurteilung zu teil werden laſſen, daß der Oeſterreicher in ihm
darin zum Durchbruch zu kommen ſcheint. Grillparzer hingegen wird kühl und
ſtreng abgefertigt; kühler, als man nach Scherers früherem Aufſatze über dieſen
Dichter hätte erwarten ſollen. Der Vergleich mit Schiller mag ja hiſtoriſch not—
wendig geweſen ſein; ich glaube aber nicht, daß er ſo unbedingt zu Grillparzers
Ungunſten hätte ausfallen müſſen. Den Abſchluß des Werkes bildet Goethes
Fauſt, ſeine Urgeſchichte, ſeine Entſtehung, ſeine Würdigung. Das großartige
Gebäude der deutſchen Litteraturgeſchichte, das Scherer aufgerichtet, durfte nicht
anders gekrönt werden als durch die Analyſe des bedeutendſten Kunſtwerkes, das
der deutſche Geiſt durch die Jahrhunderte hervorgebracht hat.

Die Ankündigung des vorliegenden Buches hatte verſprochen, in der Form
des Vortrages alles zu vermeiden, was aufdringlich an den Ton des Lehrbuches
erinnert, und doch der Sache nach gerade das zu liefern, „was man von einem
guten Lehrbuche erwartet: nicht pedantiſchen Unterricht über einzelne Thatſachen,
ſondern zuſammenhängende Einftthrung in das wahrhaft Wiſſenswürdige“. Aber
es will doch dem Lernenden in einer raſchen Ueberſicht die beſten Hilfsmittel zu
eigenem weiteren Studium an die Hand geben. Dieſem Zwecke dienen die An—
merkungen, die mit ſorgſamer Auswahl und doch in reichlichem Maße eine biblio—
graphiſche Zuſammenſtellung enthalten. Sie gewähren aber auch einen trefflichen
Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der Forſchung, ſpenden auch dem Kun—
digen reiche Belehrung. Annalen, die beſonders für die letzten Jahrhunderte
überraſchende Ausblicke eröffnen, und ein muſterhaft angelegtes Regiſter beſchließen
das epochemachende Werk, das die deutſche Nation bald ſelbſt unter die koſtbarſten
Schätze ihrer Litteratur wird zählen müſſen.

Graz, Anfang März 1884. Auguſt Sauer.

Karl Müllenhoff +.

Abermals hat die deutſche Wiſſenſchaft einen herben Verluſt zu beklagen.
Karl Viktor Müllenhoff, der bedeutendſte Vertreter der Grimm-Lachmannſchen
Schule, der Begründer einer umfaſſenden und zuſammenhängenden deutſchen
Altertumskunde, iſt am 19. Februar d. J. nach mehrmonatlichem Leiden in
Berlin geſtorben. Er war ein Dithmarſe (geb. 8. November 1818 zu Marne),
ausgeſtattet mit allen Vorzitgen dieſes durch einen Jahrhunderte währenden
Kampf mit ſchwer beſiegbaren Elementen geſtählten Stammes, durch ſeine ganze
Anlage dazu berufen, auf Grund der mühevollſten, eine ungewöhnliche Geiſtes—
ſtärke erfordernden Studien in die Erforſchung der älteſten Kulturzuſtände unſeres
Volkes Licht und Ordnung zu bringen. Von dem ſicheren Boden der ſtrengen
philologiſchen Disziplin ausgehend, behandeltel er nach und nach alle Gebiete
der Altertumskunde, ſuchte die ſchwierigſten geographiſchen und ethnographiſchen
Probleme zu löſen, führte die Sagenforſchung auf neuen und ſicheren Wegen
dem mit aller Energie feſtgehaltenen Hauptziele ſeiner wiſſenſchaftlichen Thätig—
keit zu: eine klare Vorſtellung von der Religion und Dichtung, den ſozialen
Einrichtungen und der Lebensführung unſerer Vorfahren in der erſten Periode
 
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