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Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte — 1.1884

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Werner, Richard Maria: Emanuel Geibel
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https://doi.org/10.11588/diglit.52613#0703

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Emannel Geibel,
Von
Aichard Aaria Merner.

Glücklich, wer, durch die Welt ſchweifend am Wanderſtab,
Höchſtes Wonnegeſchick, bitterſtes Leid erfuhr,
Und zuletzt in der Heimat
Grüner Stille den Frieden fand.

Wenn ein Menſchenleben endet, wer kann es wagen, ſogleich
ein ſtrenges Urteil zu fällen; wenn das Herz eines Dichters ſtille
ſteht, wer hat den Mut am kaum geſchloſſenen Grabe kritiſch
ſeinen Wert zu meſſen? Und aus dem Herzen waren die Lieden
jenes Mannes gefloſſen, den ſie vor Monatsfriſt in ſeine Heimat—
erde ſenkten, während „die Glocke vom Turme zu Sankt Marien“
mit dumpf dröhnendem Schlag Lübecks treueſtem Sohn den Ab—
ſchiedsgruß tönte. Wie ſich die Hinterbliebenen wohl in ſchmerz⸗
lichem Geſpräche noch einmal des Verſtorbenen Geſtalt, ſein Weſen,
ſeines Lebens Eigenheiten, oft unter Thränen lächelnd, vorſtellen,
ſo kann Emanuel Geibels größere Familie, und welcher Deutſche
zählte nicht dazu? heute nur das Bild noch einmal mit Liebe
ſchaffend auferbauen, welches er als Dichter wies. Was einſtens
von ſeinem Wirken übrig bleibend den Zeiten nach uns teuer er—
ſcheinen wird, das heute ſchon kritiſch ausſcheiden zu wollen, hieße
Prophetengabe ſich anmaßen, und wer kann das wohl? Noch bebt
in uns der Schmerz um den Verluſt nach, wir können uns nur
davon Rechenſchaft geben, was wir an Geibel verloren haben,
wir können nur ſagen, was wir an ihm beſaßen.
 
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