Mitteilungen und Berichte,
Doktor Fauſt und die erſte Türkenbelagerung Wiens.
Das Buch, in welches das Volk ſeine und ſeiner Helden Thaten einzeichnet,
heißt nicht Hiſtorie, ſondern Sage. Das Volk traut nicht der Dauerhaftigkeit
des Papiers und Pergaments, auch nicht des Steins und Erzes. Es hat ſeine
eigene hiſtoriſche Kunſt, ſeine eigene Mnemotechnik, ſein eigenes Archiv, in das
es nicht jedem Vorwitzigen Einblick geſtattet. Es war mir vor einiger Zeit
vergönnt, die große und bedeutende Sage, welche ſich an die zweite Türken—
belagerung Wiens knüpft, nicht nur aus dem Volksbuch, ſondern aus dem
lebenden Volksmund berichten zu können. Auch die erſte Türkenbelagerung von
1529 iſt durch eine nicht geringere Sage ausgezeichnet. Ich kann ſie diesmal
allerdings nur aus einem alten Buch nachweiſen. Es führt den Titel: „The
second report of Doctor John Faustus; containing his appearances, and
the deeds of Wagner“ und iſt 1594 zu London gedruckt worden. Es iſt
natürlich nur ein Zufall, daß wir nicht mehr das deutſche Original dieſes Volks—
buchs beſitzen, wie es wahrſcheinlich auch nur ein Zufall iſt, daß wir es nicht
in dramatiſcher Form erhalten haben. Das Volksſchauſpiel vom Doktor Fauſt.
bildet nämlich wenigſtens eine Trilogie. An „Fauſts Höllenfahrt“ ſchließt
ſich als zweiter Teil unſere Fabel „Fauſts Erſcheinung“ und als dritter Teil
„Fauſts Höllenzwang“ an, welcher Wagners weitere Thaten und ſein Ende
umfaßt. Vielleicht hat noch ein vierter Teil von „Johann de Luna“, Wagners
Nachfolger, den Beſchluß gemacht.
Wenn der erſte und dritte Teil dadurch mit Wien zuſammenhängt, daß
die Volksſtücke, welche dieſe Geſchichten behandeln, auf der Wiener Bühne ſich
entwickelt haben, ſo iſt der Inhalt des zweiten Teils ausſchließlich Wien ge—
widmet; er enthält nur eine einzige große Handlung, die Befreiung Wiens von
der erſten Türkenbelagerung. Schon darum macht das Volksbuch den Ein—
druck, als ob es nur den Inhalt eines Dramas erzähle. Dieſen Eindruck
verſtärkt auch die Technik des Erzählers. Es iſt, als ob er über eine geſchaute
Theateraufführung berichte; die Szenenwechſel, die Eintritte der Perſonen, ihr
Ausſehen, vor allem die phantaſtiſchen und prunkvollen Aufzüge und ihre
Zeitſchrift für Allgem. Geſchichte ꝛc., 1884. Heft V. 26
Doktor Fauſt und die erſte Türkenbelagerung Wiens.
Das Buch, in welches das Volk ſeine und ſeiner Helden Thaten einzeichnet,
heißt nicht Hiſtorie, ſondern Sage. Das Volk traut nicht der Dauerhaftigkeit
des Papiers und Pergaments, auch nicht des Steins und Erzes. Es hat ſeine
eigene hiſtoriſche Kunſt, ſeine eigene Mnemotechnik, ſein eigenes Archiv, in das
es nicht jedem Vorwitzigen Einblick geſtattet. Es war mir vor einiger Zeit
vergönnt, die große und bedeutende Sage, welche ſich an die zweite Türken—
belagerung Wiens knüpft, nicht nur aus dem Volksbuch, ſondern aus dem
lebenden Volksmund berichten zu können. Auch die erſte Türkenbelagerung von
1529 iſt durch eine nicht geringere Sage ausgezeichnet. Ich kann ſie diesmal
allerdings nur aus einem alten Buch nachweiſen. Es führt den Titel: „The
second report of Doctor John Faustus; containing his appearances, and
the deeds of Wagner“ und iſt 1594 zu London gedruckt worden. Es iſt
natürlich nur ein Zufall, daß wir nicht mehr das deutſche Original dieſes Volks—
buchs beſitzen, wie es wahrſcheinlich auch nur ein Zufall iſt, daß wir es nicht
in dramatiſcher Form erhalten haben. Das Volksſchauſpiel vom Doktor Fauſt.
bildet nämlich wenigſtens eine Trilogie. An „Fauſts Höllenfahrt“ ſchließt
ſich als zweiter Teil unſere Fabel „Fauſts Erſcheinung“ und als dritter Teil
„Fauſts Höllenzwang“ an, welcher Wagners weitere Thaten und ſein Ende
umfaßt. Vielleicht hat noch ein vierter Teil von „Johann de Luna“, Wagners
Nachfolger, den Beſchluß gemacht.
Wenn der erſte und dritte Teil dadurch mit Wien zuſammenhängt, daß
die Volksſtücke, welche dieſe Geſchichten behandeln, auf der Wiener Bühne ſich
entwickelt haben, ſo iſt der Inhalt des zweiten Teils ausſchließlich Wien ge—
widmet; er enthält nur eine einzige große Handlung, die Befreiung Wiens von
der erſten Türkenbelagerung. Schon darum macht das Volksbuch den Ein—
druck, als ob es nur den Inhalt eines Dramas erzähle. Dieſen Eindruck
verſtärkt auch die Technik des Erzählers. Es iſt, als ob er über eine geſchaute
Theateraufführung berichte; die Szenenwechſel, die Eintritte der Perſonen, ihr
Ausſehen, vor allem die phantaſtiſchen und prunkvollen Aufzüge und ihre
Zeitſchrift für Allgem. Geſchichte ꝛc., 1884. Heft V. 26