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Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Litteratur- und Kunstgeschichte — 2.1885

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Mitteilungen und Berichte
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Kinkel, Gottfried: Franz Grillparzer
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https://doi.org/10.11588/diglit.52690#0247

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Mitteilungen und Berichte. 23

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habsburgiſchen Scepter vereinigt ſind, iſt die Herrlichkeit des öſterreichiſchen Landes
und Sinnes je ſo ſchwungvoll beſungen worden, als er es im König Ottokar
durch den Mund des Chroniſten Ottokar von Horneck thut önig Ottokar,
Akt III, Sc. 2. ;

Dieſe Landestreue, Stammestreue hat Grillparzer ſchwer gebüßt. Es hat
ihm an Gelegenheit nicht gefehlt, aus Wien, dem Capua der Geiſter, in die
freiere, mehr ſtählende Luft. Norddeutſchlands ſich zu verpflanzen, aber er konnte
nicht fort, wie der Schmetterling durch die Nadel, welche ihn tötet, blieb er an
ſein Wien geheftet. Und darüber hat er während der beſten Zeit ſeines Lebens
das Herz der Norddeutſchen verloren. Durch Metternich war einmal alles ſpe—
zifiſch Oeſterreichiſche bei uns in Verruf; wer dort proteſtierte, war willkommen,
wir nahmen Lenau und Grün mit Jubel auf — aber wer Radetzky feierte! Nicht
weil er ein katholiſcher Dichter war, wie er einmal bitter es ſagt, ſondern
weil er ein öſterreichiſcher Dichter und im öſterreichiſchen Sinne ein Patriot war,
darum hat Deutſchland ihn, nach den erſten großen Erfolgen, verkannt und ver—
ſtoßen. Das hat er ſelber mit tiefem Schmerz empfunden — und wir bekennen
es jetzt, einem großen Menſchen iſt von uns Unrecht geſchehen. Dies Unrecht,
ſoweit es ein einzelner vermag, zu ſühnen, verſuche ich hier.

Bei Anlaß feiner Aufnahme in die Wiener Akademie hat Grillparzer, weil
von deren Mitgliedern ein Lebenslauf verlangt wird, ſeine Selbſtbiographie ge—
ſchrieben, welche jetzt in der neuen Sammlung ſeiner Schriften uns vorliegt.
Sie ſcheint 1851 geſchrieben zu ſein. Zwar geht ſie nur bis in ſein 45. Jahr,
bis 1836, aber einmal iſt die Jugend die wichtigſte Zeit zur Charaktergeſtaltung
des Menſchen; dann ſchließt ſich aus demſelben Jahr 1836 noch ein Tagebuch
einer Reiſc aus Paris und London daran. Wir haben alſo ſeine Entwickelung
zum Dichter von ihm ſelber dargeſtellt. Später reden ſeine Werke; auch war
er damals in ſeinem näheren Kreiſe bekannt und berühmt genug, ſo daß ſein
Leben Beachtung fand und wir den Reſt aus anderen Quellen wiſſen.

Franz Grillparzer iſt zu Wien im Jahr 1791 geboren. Der Vater war
Advokat, rechtlich, aber ſtreng, eher kalt und ſchroff, die Mutter freundlich, muſi—
kaliſch. Grillparzer war der älteſte von vier Brüdern, es war kein Mädchen in
der Familie. Schon da entbehrte er etwas: es iſt gefährlich für das Lebensglück
eines Menſchen, wenn er ohne Schweſter aufwächſt. Am Schweſterchen lernt
ſchon der Junge, daß die Frauen feiner, in Herzenswärme gittiger ſind als
wir; er lernt aber auch die Seiten verſtehen, wo. ſich mit dem Weibe nicht
ſcherzen läßt. Wer keine Schweſter haͤtte, findet viel ſchwerer auch eine gute
Frau. Die Knaben belebten ſich eine große traurige Wohnung früh durch
Theaterſpielen; ſie wurden zum Teil durch Hofmeiſter erzogen; als Grillparzer
nachher die Schule und als Juriſt die Univerſität beſuchte, war er ungleich in
ſeinem Fleiß und ſeinem Erfolg. Der Vater war ein eifriger öſterreichiſcher
Patriot; der Sohn ſchrieb bei der Beſetzung Wiens durch die Franzoſen anonym
ein heftiges Gedicht gegen die, durch deren Schuld die Glorie des Vaterlands
erblichen war. Ja im Jahr 1809 ergriff er als junger Student ſein Gewehr,
als die Franzoſen die Stadt beſchoſſen, und von der Baſtei, an deren Stelle jetzt
das neue Palais des Erzherzogs Albrecht ſteht, hat er mit dem Feinde ein paar
 
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