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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 13.1897-1898

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Schmid, Max: Alte und neue Kunstkritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.12047#0021

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Alte und neue Kunstkritik.

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Das Original besitzt Frau Dr. Marie Meyer in Freiburg i. B. Arnold Böcklin pinx.

Die Geburt Lhristi (Mittelbild des Triptychons „Mariencyklus").

Alte und neue Aunftkritik.

cder denkende und urteilsreife Künstler wird mir zu-
geben, daß die heutige Kunstkritik in den Händen
von Leuten liegt, die weder Kenntnisse noch kritische Reife
und am allerwenigsten gesunde, feste Prinzipien haben.
Gestern jubelten sie dem Naturalismus zu, heute laufen
sie mit ihrem Beifallsgeheul dem Symbolismus nach und
morgen schwärmen sie womöglich wieder für Klassizismus
und nagen dankbar noch einmal an den alten Knochen,
an Cornelius und Schinkel. Jeder Künstler wird mir bei-
stimmen, daß diese Behauptung keineswegs zu scharf ist
und daß nur der vr. Z., der kürzlich mein Bild ver-
ständig lobte, eine Ausnahme macht, obgleich er, unter uns
gesagt, auch ein Esel ist, der mehr schwätzt als versteht.

Einer alleine kann's überhaupt nicht. Die Kritik
müßte ganz anders fundamentiert werden. Auch hier
kann nur der Staat helfen. Und wie einfach wäre das.
Man bilde Staatskommissionen, die jeden sich meldenden
Künstler Prüfen. Er hat das Recht, 10 Bilder ein-
zusenden. Jedes Bild erhält eine Qualitätsnummer für
Zeichnung, eine andere für Kolorit, für die Idee, für
die Komposition. Die vier Nummern werden addiert, durch
10 dividiert und — man hat das in fester Zahl sogar
bis auf Dezimalen berechenbare Wertattest. Ein reines
Kunstbaromcter, so einfach, daß es nachher fast jeder tüch-
tige Polizist handhaben kann.

Wie schwer wurde es bisher Herrn Werner Schuch,
nachzuweisen, daß die Berliner Künstler, d. h. natürlich die

ältere Generation, Bilder von gleicher Güte und Sauberkeit
der Arbeit liefern, als die Münchener und Pariser, noch dazu
bei ermäßigten Preisen. Nun schickt er einfach an die staat-
lichen Kommissionen die nötige Anzahl gefärbter Leine-
wanden als Belege, erhält ein amtliches Zeugnis, und,
falls das Publikum dann immer noch nicht die Berliner
Kunstausstellung besuchen will, wird es einfach dienstlich auf-
gefordert, seine Pflicht zu thun. Die Ausrede, auf der
Berliner Ausstellung sei „nichts los", zieht dann nicht mehr.

Man hat mir eingewandt, diese Art der Zensierung
sei doch so ungewöhnlich, so ohne Vorbild, daß sie un-
möglich gut sein könne. Das ist ein Irrtum. Ich ge-
stehe es offen, daß mein Projekt nachgebildet ist einem
Vorschlag, den der große Kunstforscher Roger de Piles
in einem, in deutscher Übersetzung bereits 1760 bei
I. G. Dyk in Leipzig erschienenen Werke machte. Nach-
dem das Odium der Neuheit meinem Vorschläge genommen
ist, dürfte er näherer Prüfung doch zu würdigen sein.

Herr Roger de Piles wurde für würdig erachtet,
die Begriffe in einer der angenehmsten Künste (der Malerei)
aufklären zu helfen zur Verschönerung des Verstandes
und Verbesserung des Geschmackes. Wenn das die modernen
Kunstkritiker doch auch thun möchten! Er wurde 1635
zu Clamecy geboren, starb 1709 zu Paris, war selbst
Maler und besaß einen feinen und zärtlichen Geschmack.
Er schrieb unter anderem auch einen Tours cke peirtture
par principes. Im Anhang macht er da den Vorschlag,
 
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