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Bastine, Reiner [Hrsg.]
Klinische Psychologie (Band 2): Klinische Psychodiagnostik, Prävention, Gesundheitspsychologie, Psychotherapie, psychosoziale Intervention — Stuttgart, Berlin, Köln, 1992

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.16130#0168

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9. Gesundheitspsychologie

Weiterhin sind sie hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit und ethischen Implikationen zu
diskutieren. Beispielsweise ist ein WT/OIndikator für die Güte von Gesundheitssyste-
men die Säuglingssterblichkeit im ersten Lebensjahr. Werden, um diese zu verbes-
sern, extreme Maßnahmen zur Lebensrettung bei Frühgeburten eingesetzt, so können
dadurch erhebliche ethische Probleme entstehen, die mit einem erhöhten Auftreten
von Mißbildungen und Behinderungen bei den Kindern und extensiven medizinischen
Maßnahmen zu deren Reduktion verbunden sein können.

Die umfangreichsten Materialien zum internationalen Vergleich von Gesundheits-
systemen liegen für die OECD-Länder vor (vgl. Alber, 1988, 1989; OECD, 1990;
Schmidt & Dlugosch, 1991). Dabei werden als Indikatoren beispielsweise Ausgaben
für das Gesundheitssytem, öffentlicher Anteil an den Ausgaben, Säuglingssterblich-
keit, Lebenserwartung, Arbeitslosigkeit, Zahl der Krankenhausbetten, Zahl der Kran-
kenhausfälle, Verweildauer im Krankenhaus, Zahl der Ärzte, und Zahl der Pflege-
kräfte verwendet (s. auch Schneider, 1990).

Ein Systemvergleich auf der Basis dieser Indikatoren enthält wichtige Informatio-
nen und vor allem auch Überraschungen und Ungereimtheiten. Schon seit langem ist
das Gesundheitssystem der USA am teuersten, obwohl die USA bei ungefähr gleicher
Arztdichte weniger Krankenhausbetten als viele andere OECD-Länder besitzen
(OECD, 1990).

Auch hinsichtlich der Anzahl von Operationen und anderen medizinischen Maß-
nahmen gibt es zwischen den Ländern erhebliche, rational kaum zu erklärende Streu-
ungen (vgl. Alber, 1989; Bruckenberger, 1989; OECD, 1990; s. Tab. 9.3.). Bei aller
statistischen Vergleichsproblematik kann es als sicher gelten, daß hierbei die Struktur
und Funktionsweise der Gesundheitssysteme eine wichtige Rolle spielen.

Aus solchen internationalen Vergleichen ergeben sich einige Folgerungen für die
Rolle von Psychologen in den Gesundheitssystemen. Noch ist die Gesundheitspsy-
chologie im Rahmen solcher Betrachtungen eine Randdisziplin. Es scheint bislang
kaum ein Land zu geben, in dem die psychologische Profession konsequent im Ge-
sundheitssystem berücksichtigt wird. Als einziges herausragendes Beispiel wird in der
Literatur Kuba genannt (vgl. Kristiansen & Soderstrom, 1990). Allerdings verhindern
viele Systeme durch eine starre, die Medizin überbetonende Formalisierung die Ein-
beziehung von psychologischen Erkenntnissen und Methoden. Weltweit betrachtet, er-
scheint die Gesundheitspsychologie oft als eine Luxusdisziplin der Industrienationen,
die durch bestimmte Lebensstile und die damit verbundene Zunahme von Zivilisati-
onskrankheiten in den Vordergrund rückt. In Europa ist die Gesundheitspsychologie
insgesamt noch als unterentwickelt anzusehen, wenn auch seit einigen Jahren eine ge-
wisse europäische "Aufbruchstimmung" zu bemerken ist (vgl. Schmidt & Dlugosch,
1991).

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