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Bastine, Reiner [Editor]
Klinische Psychologie (Band 2): Klinische Psychodiagnostik, Prävention, Gesundheitspsychologie, Psychotherapie, psychosoziale Intervention — Stuttgart, Berlin, Köln, 1992

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https://doi.org/10.11588/diglit.16130#0189

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9.6. Diskussion und Ausblick

gend) zur Mitbeachtung psychologischer Problemstellungen im medizinischen Feld
(vgl. Yates, 1984), andererseits zur Unterstützung und Förderung primärpräventiver
Gesundheitsstile geführt. Eine zentrale Aufgabe der Gesundheitspsychologie - die al-
lerdings bisher noch nicht zufriedenstellend gelöst wurde - ist es, die Effektivität von
Gesundheitsförderungsprogrammen zu evaluieren (vgl. DeFriese, 1986). Während ei-
nige Autoren davon ausgehen, daß präventive Maßnahmen eine direkte Senkung der
Kosten im medizinischen System bewirken können (vgl. Shephard, 1987), gibt
Russell (1986) kritisch zu bedenken, daß Prävention zwar zur Verbesserung des Ge-
sundheitszustandes beim einzelnen beitrage, dies aber zusätzliche Kosten im Gesund-
heitssystem verursache.

Bei der Planung von Präventionsmaßnahmen treten auch ethische Probleme und
Fragen auf. So könnte bei beschränkten Mitteln zur Gesundheitsförderung etwa zur
Entscheidung stehen, ob umfangreiche Investitionen eher zur weiteren Reduzierung
der Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zur AIDS-Prävention oder zur unfallsenkenden
Beleuchtung von Autobahnen vorgenommen werden sollen. Die grundsätzliche Frage,
ob tendenziell eher die Gesundheit des einzelnen oder die "Durchschnittsgesundheit"
der Bevölkerung erhalten oder gefördert werden soll, ist sicher nicht generell beant-
wortbar und extrem kontextgebunden. Nicht vergessen darf man, daß gesundheitsför-
derliche Maßnahmen sehr oft im Widerspruch zu gesellschaftspolitischen oder wirt-
schaftlichen Motiven stehen: Man stelle sich nur einmal vor, welche Reaktion die
Forderung nach einer generellen Abschaffung von Waffen und Munition zur Kriegs-
prävention und damit zur weltweiten Gesundheitsförderung hervorrufen würde. Aber
auch weniger extreme Überlegungen wie beispielsweise die kontroverse Diskussion
des absoluten Alkoholverbotes für Autofahrer oder des Rauchverbotes in allen öffent-
lichen Einrichtungen können zur Verdeutlichung herangezogen werden: Neben der
Senkung der Unfall- bzw. Erkrankungsrate hätten diese präventiven Maßnahmen vor
allem wirtschaftliche Konsequenzen (für die Akohol- bzw. Zigarettenindustrie) und
politische Auswirkungen (z.B. auf die Wählergunst).

Weitere ethische Fragen ergeben sich aus der Tatsache, daß die Präventionsideolo-
gie im Extremfall dazu führen kann, dem einzelnen die alleinige Verantwortung für
seine Gesundheit/Krankheit zuzuschreiben (vgl. Knowles, 1977) und dementsprechend
Risikoverhalten und Krankheit zu bestrafen (z.B. durch finanzielle Aufwendungen)
(victim blaming; vgl. Wikler, 1987). Im Zusammenhang damit kann die Pflicht oder
sogar der Zwang entstehen, gesund sein bzw. sich gesund verhalten zu müssen. Ver-
nachlässigt werden dabei strukturelle und gesellschaftliche Probleme und Aufgaben
wie z.B. das Schaffen gesundheitsförderlicher Lebens-, Wohn- und Arbeitsbedingun-
gen (vgl. Wenzel, 1986). Diesem Ansatz steht die Tendenz gegenüber, Gesellschaft
und Staat allein verantwortlich für Gesundheit und Krankheit zu machen und demzu-
folge auch die Kontrolle von dieser Seite zu fordern (durch Gesetze, Regeln, Steuern
etc.). Einen Mittelweg streben Wallack & Winkleby (1987) an, indem sie einen inte-
grierten Präventionsansatz vorschlagen, der Individuen und der Gesellschaft eine ge-
meinsame Verantwortung zuspricht und die Herstellung einer gesundheitsförderlichen

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