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Der Husar von Straßburg.
Eine Geschichte aus der Franzosenzeit
von
§>tto Moser.
(Fortsetzung.)
Die Verlegenheit des Präzeptors ob dieser
Ungeschicklichkeit war trotz seiner illuminirten
Stimmung keine geringe. Er zog das gewürfelte
Taschentuch hervor und begann an
den betroffenen Kleidungsstücken der
Großmutter, die ein nicht wenig
ärgerliches Gesicht machte, einen Nei-
nigungsakt, daß die Preißelbeeren
in der ganzen Stube herumflogen.
Meister Thalheim lachte laut auf und
selbst der Fischerobermeister ließ ein
leises Kichern hören. Das junge
Volk hatte nur auf ein Signal ge-
wartet, um gleichfalls loszubrechen.
Und so blieb denn der alten guten
Fran nichts weiter übrig, als in die
allgemeine Heiterkeit einzustimmen,
während die Muhme Vetterlein Mühe
hatte, den Präzeptor in seiner eif-
rigen Hilfsleistung zu hindern und
ihn dahin zu bringen, sein gewürfel-
tes Tuch wieder in die Tasche zu
schieben.
„Was ich euch da erzählte, passirte
Anno 9," fuhr die Großmutter nach
dieser Unterbrechung fort; „aber vier
Jahre später ging's erst recht bei
uns los. Rings um die Stadt wurde
fürchterlich geschossen und überall sah
man die Feuerwolken brennender
Dörfer. Doch ihr Alle habt ja von
der großen „Battalje bei Leipzig" ge-
hört. Die Preußen, Russen und
Oesterreicher schossen Kugeln und
Bomben in die Stadt, daß Niemand
seines Lebens sicher war, bis endlich
Bonaparte retiriren mußte.
Es war schrecklich zugegangen am
18. Oktober Anno 13 und man fürch¬
tete, Tages nachher würden die Fran-
zosen bei ihrem Abzüge zum Rau-
städter Thore hinaus Leipzig an allen

vier Ecken anbrennen. Da könnt ihr euch nun den-
ken, daß wir in der vorhergehenden Nacht voller
Angst und Schrecken waren und es Niemand einfiel,
zu Bett zu gehen. Alle Hausbewohner hatten sich
bei uns versammelt, um gemeinschaftlich zu singen
und zu beten, daß Gott die große Gefahr gnädig
abwenden möge. Auch der Jägerbursche von der
Oberförsterei im Kuhthurme, der schwarze Zacha-
rias, befand sich in unserer Gesellschaft. Er hatte
sich mit Lebensgefahr in die Stadt geflüchtet, und

Maria Alexandrekma, Kaiserin von Rußland. (S. 495.)

beim Vater, der mit dem ebenfalls vom Kuhthurme
entwichenen Oberförster bekannt war, eine Zuflucht
gefunden.
Eben hatten wir, es mochte gegen Mitter-
nacht sein, das schöne Lied: „Wenn wir in höch-
sten Nöthen" beendigt, und ich schenkte den Lei-
densgenossen Kaffee ein, als heftig an die Hinter-
thüre des Hauses, welche nach dem Hofe und
Garten führte, geklopft wurde.
Mein seliger Vater und der schwarze Zacha-
rias gingen hinaus, um zu sehen,
wer da sei. Wir hörten wie die
Thüre aufgeschlossen wurde und gleich
darauf traten sie mit einem Solda-
ten ein, der den Mantel abwarf und
an den warmen Ofen tretend, sich
behaglich die Hände rieb. Es war
ein polnischer Offizier mit schon er-
grautem Haar und einem Ordens-
kreuzchen auf der Brust.
„Gebt mir etwas zu essen, Kin-
der!" sagte der Pole auf Deutsch.
„Meine Escadron ist heute Abend
zersprengt worden, mein Pferd er-
schossen und ich irre seit Stunden
herum und bin froh dem Walde
und Sunrpfe da draußen entronnen
zu sein."
Ich reichte dem Offizier eine Tasse
Kaffee und holte Brod und Speck
und eine Knackwurst, das Beste was
wir in der Küche hatten, denn die
Lebensmittel waren rar.
Während der Offizier aß, erzählte
er uns von dem letzten schrecklichen
Kampfe und daß die Franzosen bereits
den Rückzug anaetreten hätten. End-
lich fragte er, ob er für gute Be-
zahlung nicht einen Boten haben
könne, der ihn auf Schlupfwegen
aus der Stadt nach Lindenau oder
Schönau brächte. Er nannte die
Namen dieser Dörfer, indem er eine
Landkarte aus der Tasche zog und
prüfende Blicke darauf warf.
Draußen auf dem Steinwege er-
scholl schon lange ein dumpfes Getöse,
dessen Ursache sich leicht errathen
ließ. In ungeheuren Massen drängte
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