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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 2): Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4969#0041

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II. Polygnotos und seine Zeitgenossen.

31

Maler des Ethos beurtheilen: denn offenbar will er. wenn er Zeuxis wegen
Mangels desselben mit den neuern Tragikern vergleicht, Polygnot den älteren
gleich setzen. Jetzt wird aber die Absicht deutlicher hervortreten, in welcher
die frühern Bemerkungen über die einzelnen Figuren der delphischen Gemälde
gemacht wurden. Sie liefern den thatsächlichen Beweis, wie bei Polygnot von
der allgemeinen Anlage bis zu den kleinsten Besonderheiten im Einzelnen Alles
nur darauf berechnet ist, jenes Ethos in eben so klaren, als bedeutsamen Zügen
uns auf das Eindringlichste zur Anschauung zu bringen.

Wenn nun nach Aristoteles der höchste Zweck der Kunst auf geistige
Erhebung und sittliche Veredelung gerichtet ist1), so werden wir die Ursache,
weshalb Aristoteles im Grunde genommen unter allen Malern keinen höher
schätzt, als gerade Polygnot, eben in dem Vorwalten des Ethos bei diesem
Künstler suchen müssen. Und er selbst spricht dies noch ausdrücklich aus,
indem er die Jugend vor dem Anblicke der Werke eines Pauson zu bewahren
räth, dagegen aber anempfiehlt, die des Polygnot zu betrachten und wer sonst 45
noch von Malern und Bildhauern vjtfixöe sei2). Gerade je entfernter aber dem
Aristoteles hier eine platt moralisirende Tendenz liegt, um so höher müssen wir
das in seinem Urtheile erhaltene Lob anschlagen, ja wir vermögen ihm kaum
ein anderes an die Seite zu stellen, als das, welches die Griechen dem Zeus
des Phidias ertheilten, indem sie sagten: der Künstler habe durch dieses Werk
der bestehenden Religion ein neues Moment hinzugefügt. Denn in beiden Ur-
theilen spricht sich die Grundansicht aus, dass die höchsten künstlerischen nur
im Vereine mit den höchsten sittlichen Forderungen ihre Befriedigung finden
können, oder mit andern Worten, dass das Schöne und Gute in ihren höchsten
Entwickelungen zusammenfallen müssen.

Auf diesem Punkte angelangt, müssen wir nochmals den Gegensatz ins
Auge fassen, welcher in dem Urtheile des Aristoteles und dem des Plinius über
Polygnot enthalten ist, einen Gegensatz, wie er schroffer wohl selten ausge-
sprochen worden ist. Denn der eine lässt die eigentliche Blüthe der Malerei
erst nach dem Tode desjenigen beginnen, welchem der andere den Ehrenplatz
unter den Malern ertheilt. Und doch löst sich jetzt dieser Gegensatz in der
einfachsten Weise. Plinius hat vor allem die Malerei als solche im Auge, und
vermag also dem Polygnot keine hervorragende Stellung anzuweisen, da er von
einem der wesentlichsten Theile der Malerei, von der durch Licht und Schatten
bedingten Farbenwirkung, noch gar keinen Begriff hatte, und sogar in der
Formengebung sich auf die geringsten Mittel beschränkt sah, indem auch hier
eine Durchbildung im Einzelnen erst durch die Berücksichtigung von Licht und
Schatten möglich wird. Dem Aristoteles sind ähnliche Rücksichten durchaus
fremd: er richtet sein Augenmerk auf die von der besonderen Gattung unab-
hängigen höchsten Endzwecke der Kunst, und es lässt sich daher sogar be-
haupten, seine Anerkennung gelte nicht sowohl dem Polygnot als Maler, son-
dern dem Künstler im Allgemeinen, insofern er geistige, poetische Ideen ver-
möge der Kunst anschaulich darstellt. Die besondere Technik, welche er dabei
anwendet, erscheint diesem Gesichtspunkte gegenüber durchaus untergeordnet

!) Vgl. Ed. Müller, Gesch. d. Theorie d. K. II. S. 50—70. 2) i->0]. yill. 5.
 
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