Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 2): Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler — Stuttgart, 1889

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4969#0050

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
40

Die Maler.

58 Rückblick.

In den bisherigen Erörterungen habe ich einige für das volle Verständniss
der älteren Malerei wichtige Fragen absichtlich unberührt gelassen, weil ihre
Behandlung nur auf der Grundlage eines vollständigen Ueberblickes über die
einzelnen Erscheinungen der behandelten Periode nutzbringend zu werden ver-
sprach. Ja, es wird zu diesem Zwecke sogar nothwendig sein, schon im vor-
aus einige Blicke auf spätere Erscheinungen zu werfen. Sehen wir von den
vereinzelten Nachrichten über die Anfänge und die erste Ausbildung der Malerei,
welche gewissermassen nur die Einleitung zum eigentlichen Thema bilden,
gänzlich ab, so ist es Polygnot und seine Genossenschaft, in denen sich das
Wesen der älteren Malerei am klarsten und in gewaltigen Zügen spiegelt. Die
Werke dieser Schule, wie ich der Kürze wegen diese Genossenschaft nennen
will, gehören einer Kunstrichtung an, welche ich schon früher einmal als dem
Epos in der Poesie entsprechend bezeichnen musste. Es sind grosse mytho-
logische und historische Gompositionen, zum Schmucke von Tempeln und Hallen
von vornherein bestimmt und ausgeführt, von einem Umfange und einem Reich-
thume an Figuren, wie wir ihn unter den berühmtesten Werken der späteren
Zeit fast nie wiederfinden. Aber nicht einmal in der unmittelbar sie aufneh-
menden Generation findet diese Schule Nachfolge und Nachahmung. Die Künstler,
welche der OOsten Olympiade näher stehen, als der 80sten, bewegen sich in
einer durchaus verschiedenen Richtung. Plinius widmet der Schule des Polygnot
zwar einige, aber doch verhältnissmässig nur eine geringe Aufmerksamkeit;
und was er bei Gelegenheit der auch uns weniger bekannten Namen aus der
OOsten Olympiade bemerkt: dass sich bei ihnen seine Darlegung nicht lange
aufhalten dürfe, das scheint seine Herzensmeinung auch über jene Schule. Denn
darauf erst „eilt er zu den Lichtpunkten der Kunst", einem Apollodoros und Zeuxis.
Apollodor war der erste, „welcher dem Pinsel zu gerechtem Ruhme verhalf',
Zeuxis derjenige, „welcher den schon etwas wagenden Pinsel zu grossem Ruhme
erhob". Apollodor malt einen betenden Priester, einen vom Blitze getroffenen

59 Aiax; „und vor ihm wird kein Bild (tabula) eines andern gezeigt, welches die
Augen zu fesseln vermöchte"1). Müssen diese Sätze nicht im höchsten Grade
paradox klingen, wenn wir sie mit den Lobeserhebungen vergleichen, welche
wir der Kunst des Polygnot zu spenden uns gedrungen fühlten V Die Lösung
dieses Widerspruches liegt in zwei Punkten, welche mit aller Schärfe hervor-
gehoben werden müssen, wenn nicht nur einzelnen Missverständnissen, sondern
einer falschen Auffassung des gesammten Fortschritts der griechischen Malerei
überhaupt vorgebeugt werden soll; und diese zwei Punkte sind enthalten in
den Ausdrücken des Plinius: gloria penicilli und tabula. Fassen wir diese Aus-
drücke richtig, so ist das ganze Räthsel gelöst, weshalb Plinius eigentlich erst
nach der hohen Blüthe der Kunst unter Polygnot und nachdem sie bereits in
den grossartigsten Schöpfungen sich versucht hatte, die Geschichte der Malerei
beginnen lässt.

Plinius lässt die Malerei zu ihrem Ruhme gelangen durch die Herrschaft

!) 35. 60 u. 61.
 
Annotationen