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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 2): Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4969#0051

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II. Polygnotos und seine Zeitgenossen.

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des Pinsels. Aus der Betrachtung dessen, was Plinius als den Fortschritt des
Polygnot in der Malerei anführt, glaube ich gezeigt zu haben, dass von Schat-,
tengebung bei ihm nicht die Rede war; und wie dieselbe auch noch ausdrück-
lich dem Apollodor als eine Erfindung beigelegt wird, so spricht auch Quiii-
tilian1) gerade von einfacher Farbe bei Polygnot und Aglaophon. Die Farben
wurden in Gesammttönen auf die Fläche als Ausfüllung des Umrisses einge-
tragen, und die weitere Ausführung bestand in dem Hineinzeichnen anderer
Umrisse und Linien zur Angabe der Ansätze an den Gliedern und Muskeln
der Massen und Falten in den Gewändern. Zu grösserem Schmucke mochten
auf die Letzteren zuweilen noch bunte Verzierungen aufgesetzt w'erden, in ver-
schiedenen Farben, aber immer in einfachen ungebrochenen Tönen. Im Ganzen
mussten wir, um uns von der Behandlung der Malerei bei Polygnot einen Be-
griff zu machen, auf die bessern der tarquiniensischen Grabgemälde verweisen.
Es leuchtet nun ein, dass hier von einem „Ruhme des Pinsels" im Grunde nicht
die Rede sein kann. Sehen wir von dem geistigen Verdienste, der Gomposition
und Erfindung des Ganzen, wie der einzelnen Figuren, vorläufig ab, so konnte CO
der Künstler seine Tüchtigkeit nur in der Zusammenstellung der Farben, nicht
in ihrer Verarbeitung unter einander zeigen, hauptsächlich aber in der Zeichnung.
Diese beruht jedoch bei dieser Gattung der Malerei auf der Feinheit und dem
Schwünge wirklicher Linien. Mag nun der Künstler immerhin zum Ziehen der-
selben sich des Pinsels als Werkzeug bedienen, so ist doch die Anwendung
desselben nur eine einseitige: die eigentliche Farbe trägt er mit der Fläche des
Pinsels auf; die Linien zieht er mit der Spitze. Dieses Verfahren aber gestaltet
sich gänzlich um, sobald Schattengebung eintritt: denn alsdann müssen die
wirklichen Linien verschwinden, und es giebt eigentlich nur noch Begrenzungen
von Flächen, deren mannigfache Eigenthümlichkeiten nur durch die mannig-
fachste Anwendung des technischen Werkzeuges wiedergegeben werden können.
Hier also beginnt der Ruhm des Pinsels: der Auftrag der Farben, die Begren-
zung der Formen, die Vertreibung der Töne in einander, die Angabe von Licht
und Schatten, die gesanimte Ausführung ist Werk des Pinsels. Mit dieser Auf-
fassung können wir vergleichen, was Dionys von Halikarnass *) über den Unter-
schied der älteren und neueren Malerei bemerkt. Die älteren Gemälde sind
nach ihm einfach in der Farbe behandelt, und zeigen keine Mannigfaltigkeit
(nof/.i-'kiav) in den Mischungen, sind aber sorgsam und genau in der Zeichnung
(cbcpißsTg TaTg y(ja{ißcüq) und haben darin viel Einnehmendes; die Späteren da-
gegen sind weniger gut gezeichnet, aber weit mehr ausgeführt, voll Abwechse-
lung in Licht und Schatten, und haben in der Menge der Mischungen ihre
Stärke. Dieses vergleichende Urtheil will aber offenbar ganz dasselbe sagen,
was Plinius bezeichnet, indem er erst nach Polygnot die Malerei durch die Herr-
schaft des Pinsels zur Blüthe gelangen lässt.

Nachdem auf diese Weise der eine Unterschied zwischen der älteren und
neueren Malerei festgestellt ist, wenden wir uns zu dem zweiten Gegensatze,
welcher in des Plinius Worten ausgesprochen liegt: vor Apollodor gebe es keine
tabula, welche das Auge zu fesseln vermöge. Dieses Urtheil wäre vielleicht

!) XII, 10. 2) Isaeus p. 104 Sylb.
 
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