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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 2): Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4969#0145

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IV. Die Maler vom Endo des peloponn. Krieges bis zum Tode Alexanders d. Gr. 135

von Schweiss triefend zu ermattet scheint, um der Geliebten selbst die Fesseln
zu lösen: sogar Eros, der Gott, zeigt sich aufgeregt durch die Mühen des vor-
angegangenen Kampfes. Wohl ziemt es ferner dem Nikias als Maler von Frauen,
dass er Andromeda unbekleidet hingestellt hat, „eine Lydierin an Zartheit, eine
Athenerin an Ehrbarkeit und kräftig wie eine Spartiatin." Die gewünschte Man-
nigfaltigkeit endlich erhielt das Ganze durch den Chor der äthiopischen Hirten
und den sprechenden Ausdruck ihrer Freude.

Halten wir uns an diese Gomposition, so werden wir nicht länger leugnen,
dass auch unter den übrigen von Plinius angeführten Gemälden manche einer
ähnlichen breiteren Entwickelung ihrer anderwärts einfacher behandelten Motive
sich günstig erweisen. Danae z. B. in der Scene, wo sie in dem Kasten an das
Ufer von Seriphos getrieben und von Fischern gefunden wird, wäre als ein dem-
selben Mythenkreise angehöriges Bild sogar ein passendes Seitenstück zum Ge-
mälde der Andromeda. Noch reicher an dramatischen Motiven ist der Mythus
der Jo. Auf jeden Fall aber hat sich uns jetzt der scheinbare Widerspruch
zwischen den Worten des Nikias und seinen Werken nicht nur gelöst, sondern
er hat uns auch den Weg gezeigt, die Eigenthümlichkeit des Künstlers in der
Weise näher zu bestimmen, dass seine Stellung im Zusammenhange der Schule
als eine durchaus naturgemässe erscheint.

Wir haben das Wesen des Aristides und Euphranor durch die Verglei-
chung mit analogen Erscheinungen der florentinischen Kunst zu erläutern ver-
sucht. Auch Nikias fordert uns zu einem ähnlichen Verfahren auf, und zwar
müssen wir durch ihn an diejenigen Elemente der Kunstübung erinnert werden,
welche bei den Florentinern durch Masaccio und seine Nachfolger ihre Ausbil-
dung erhielten. Auch bei Masaccio finden wir das Streben nach einer mehr
plastischen Abrundung der Figuren, auf welcher vor allem jenes „Heraustreten 201
aus der Tafel" beruht. Die lebendige Bewegtheit der Composition freilich, wie
sie Nikias verlangte, war jenen Florentinern, wie überhaupt der Kunst ihrer
Zeit noch fremd, indem die noch ziemlich ausschliesslich religiösen Stoffe einer
solchen Behandlungsart sich minder günstig erwiesen. Aber innerhalb der hier-
durch gebotenen Beschränkungen begegnen wir gleichfalls der Absicht, die sonst
einfachen und auf die wesentlichen Elemente der Handlung beschränkten Motive
weiter zu entwickeln und namentlich den engen Kreis der eigentlich handeln-
den Personen gewissermassen durch einen Chor von sehr entfernt betheiligten
Zuschauern zu erweitern. Geschah dies zunächst auch noch oft in einer mehr
äusserlichen Weise, durch welche sogar die historische Auffassung im strengeren
Sinne zuweilen beeinträchtigt erscheinen mag, so ward dafür die Möglichkeit
einer um so reicheren und treueren Schilderung von Zügen aus der Wirklich-
keit gewonnen und dadurch eben jene realistische Richtung gefördert, in wel-
cher die innere Verwandtschaft der Schule des Euphranor und der Florentiner
uns deutlich und sprechend vor Augen tritt. — Wie aber diese Richtung bei
Euphranor und Nikias keineswegs ausschliesslich auf der Subjectivität dieser
Künstler beruht, sondern mit der gesammten Entwickelung des griechischen
Geistes in engem Zusammenhange steht, darüber werden in dem Rückblicke
auf diese ganze Periode der Malerei noch einige Nachweisungen gegeben
werden.
 
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