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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 2): Die Maler. Die Architekten. Die Toreuten. Die Münzstempelschneider. Die Gemmenschneider. Die Vasenmaler — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4969#0172

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162

Die Maler.

vermochte. Um so mehr müssen wir bewundern, dass solche Verhältnisse die
Spannkraft seines Geistes nicht lähmten, sondern vielmehr stärkten. Wir kennen
kaum ein anderes Beispiel, dass es einem Künstler mit seiner Kunst mehr Ernst
gewesen, als ihm. Um seinen Geist frisch zu erhalten, verschmähte er es nicht,
die Bedürfnisse seines Körpers auf die nothdürftigste Nahrung zu beschränken.
Sieben, nach Andern elf Jahre verwendete er auf ein einziges Werk, den Jalysos,
immer eine lange Zeit, selbst wenn wir annehmen wollen, dass hier nicht die
Figur des Jalysos allein, sondern in Verbindung mit einer Reihe rhodischer
Stammheroen, wie Kydippe, Tlepolemos, zu verstehen sei. Viermal übermalte
241 er den Jalysos, um dem Gemälde die grösste Solidität und Dauer zu sichern.
Dass die Zahl seiner Werke gering, begreift sich unter solchen Umständen
leicht; aber eben so, dass nach Quintilian !) keiner ihm den Ruhm der Sorg-
falt (cura) streitig macht. Seine Werke werden von dem ganzen Alterthume
dem Höchsten gleichgestellt, was die Kunst geleistet: selbst Apelles steht wie
versteinert vor dem Jalysos; und nur einen Umstand tadelt er nicht sowohl,
als dass er ihn beklagt: dass nemlich die Kunst zu gross sei und daher die
höchste Anmuth, welche auf dem richtigen Maasse der Vollendung beruhe, ver-
loren gehe. Er stand, wie Plinius sich ausdrückt, auf der arx ostentationis,
dem .Höhepunkte glänzender Meisterschaft, auf welchem niemand ihn überragte.

Fleiss und Sorgfalt werden aber in der Kunst nur da zu einer Stufe hoher
Vollendung führen, wo sie mit andern specifisch künstlerischen Eigenschaften
gepaart erscheinen. Hier nun tritt leider die Lückenhaftigkeit unserer Ueber-
lieferung zu Tage, welche uns nicht erlaubt, eben diese Eigenschaften genauer
zu bestimmen. — Hinsichtlich der Gegenstände, welche Protogenes für seine
Darstellungen wählte, scheint ziemlich dasselbe zu gelten, was wir über Apelles
bemerkt haben. —■ Von einer bewegten, mannigfaltig gegliederten Handlung
kann eigentlich nirgends die Rede sein, schon darum nicht, weil die Darstellung
selten über eine einzelne Figur hinausgeht. .Eine hohe geistige oder ideale
Bedeutung kommt den gewählten Gestalten an sich ebenfalls nicht zu; und
o-ehen wir von den Gestalten des Paralos und der Hammonias aus, so können
wir vermuthen, dass Protogenes auch in der Darstellung der rhodischen Stammes-
heroen sich mehr einer symbolisirenden, als einer individualisirenden Auffassung
zugeneigt haben mag. Auch die wenigen uns bekannten einzelnen Motive, die
gemächliche Ruhe des Satyrs, das Sinnen des Dichters Philiskos, sind durchaus
einfacher Natur und der Art, dass ihre Durchführung keinen grossen Aufwand
poetischer Schöpfungskraft erheischt. Genug, alles drängt uns zu der Ansicht,
dass bei Protogenes, wie bei Apelles, das hohe Verdienst nicht sowohl in dem
242 geistigen und poetischen Gehalte, als in der vollendeten künstlerischen Durch-
führung ihrer Werke zu suchen sei, welche die Illusion bis zur höchsten Spitze
getrieben hatte. So sagt denn Petronius2), man könne „die Studien des Proto-
genes, die mit der Wahrheit der Natur selbst wetteifern, nicht ohne eine ge-
wisse Scheu betrachten" : Protogenis rudimenta cum ipsius naturae veritate cer-
tantia non sine quodam horrore tractavi. So will der Künstler bei dem Schaume
am Hunde neben Jalysos uns die Kunstmässigkeit (artem) so gänzlich vergessen

4 Xlt, 10. 2) c. 84.
 
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