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©w GIAMBATTISTA TIEPOLOS EIGENART
LOY HERING GRABDENKMAL
das in allen seinen Wesenseigentümlichkeiten
sich hätte plastisch davon abheben sollen,
ist nur Silhouette geblieben. Alle diese Kunst-
kritiker, die bisher über Tiepolo schrieben,
sind dem seltsamen Künstler nur mit Hilfe
der rein philologischen Methode als Hi-
storiker genaht. Über das Kunstproblem
»Tiepolo« aber haben sie kein Licht zu
verbreiten gewußt. Wer der Lösung des-
selben nahe zu kommen verlangt, muß neben
dem großen Lichtmaler Tiepolo auch den
großen dekorativen Techniker Tiepolo stu-
dieren.
Jeder, der Raffaels vatikanische Stanzen
und Loggien in Rom besuchte, kennt auch
seine und seiner Schule Chiaroscuro-Malereien,
Darstellungen, die meistens im Sinne antiker
Reliefs konzipiert und in den Abstufungen
einer, höchstens zweier Farben ausgeführt
sind. Tiepolo gelingt stets der Versuch, eine
einzige Farbe in so viele Nuancen zu zer-
legen, daß nicht nur das Bild plastisch aus der
Fläche heraustritt, sondern daß es auch gleich-
sam wie von Licht und Luft umflossen
wirkt. Und damit geht er über die
einfache Reliefwirkung hinaus. Jeden-
falls gibt uns die Erkenntnis von dieser
Maltechnik ein wichtiges Mittel an die
Hand, tiefer in die Eigenart des großen
Lichtmalers einzudringen. Für mich
steht es außer Zweifel fest, daß Tiepolo
seine sämtlichen Freskoschöpfungen
zuerst in dieser erwähnten Helldunkel-
manier, in mannigfachen, duftigen, silber-
grauen Tönen anlegte, und daß er dann
erst mittels zarter Lasuren an die farbige
Ausarbeitung seiner Komposition ging.
Nur auf diese Weise läßt es sich er-
klären, daß die Farbenskala des Meisters
gedämpft und gebrochen erscheint und
dennoch ihren vom Tageslicht erzeug-
ten Flimmer bewahrt. Tiepolo knüpfte
bei der Wiederaufnahme und Weiterbil-
dung dieser Malweise an die Traditionen
des Paolo Veronese an, bei dem zuerst
jene silbrigen Farbentöne auftreten. Und
später, als Tiepolo in den veneziani-
schen Provinzen ehrenvolle Aufträge in
Kirchen und Landhäusern auszuführen
hatte, ging ihm erst recht die reiche
Schönheitswelt Paolesker Kunst auf.
Besonders Paolos a fresco ausgeführte
Villenmalereien, von denen die kunst-
historische Forschung bisher erst
zum kleinsten Bruchteil Kenntnis ge-
nommen hat, mögen ihn begeistert
und zu ähnlichen Schöpfungen ange-
regt haben.
Selbst für seine sehr reizvollen und intimen
Ölgemälde schuf sich Tiepolo seine eigene
Technik, die ebenfalls bei Paolos Malweise
einsetzte und sie in individueller Weise weiter
entwickelte. Er malte zunächst mit Tempera-
farbe in jener erwähnten Chiaroscuro-Manier
die Komposition in flüchtigen, aber sprechen-
den Zügen auf die Leinwand und überging
sie dann erst mit zarten Lasuren in Ölfarbe.
Für diese Tatsache ist besonders ein in der
Pinakothek zu Treviso befindliches Bild,
Johannes der Täufer, der Menge predigend,
instruktiv. Es ist nämlich Skizze geblieben
und fast nur in verschiedenen Tönen einer
einzigen Farbe gefertigt. Aber mögen die
Linien noch so flüchtig und leise andeuten,
mögen die Schatten noch so duftig gegeben
sein, der Entwurf wirkt schon vollkommen
bildmäßig: In einer Gebirgswüste, die durch
einen fernen, schroffen Felsengrat, einige wild
zerzauste Wettertannen und eine verkümmerte
Pinie charakterisiert wird, lauscht eine dicht-
gedrängte Volksmenge mit reger Spannung
o o O o r ö
©w GIAMBATTISTA TIEPOLOS EIGENART
LOY HERING GRABDENKMAL
das in allen seinen Wesenseigentümlichkeiten
sich hätte plastisch davon abheben sollen,
ist nur Silhouette geblieben. Alle diese Kunst-
kritiker, die bisher über Tiepolo schrieben,
sind dem seltsamen Künstler nur mit Hilfe
der rein philologischen Methode als Hi-
storiker genaht. Über das Kunstproblem
»Tiepolo« aber haben sie kein Licht zu
verbreiten gewußt. Wer der Lösung des-
selben nahe zu kommen verlangt, muß neben
dem großen Lichtmaler Tiepolo auch den
großen dekorativen Techniker Tiepolo stu-
dieren.
Jeder, der Raffaels vatikanische Stanzen
und Loggien in Rom besuchte, kennt auch
seine und seiner Schule Chiaroscuro-Malereien,
Darstellungen, die meistens im Sinne antiker
Reliefs konzipiert und in den Abstufungen
einer, höchstens zweier Farben ausgeführt
sind. Tiepolo gelingt stets der Versuch, eine
einzige Farbe in so viele Nuancen zu zer-
legen, daß nicht nur das Bild plastisch aus der
Fläche heraustritt, sondern daß es auch gleich-
sam wie von Licht und Luft umflossen
wirkt. Und damit geht er über die
einfache Reliefwirkung hinaus. Jeden-
falls gibt uns die Erkenntnis von dieser
Maltechnik ein wichtiges Mittel an die
Hand, tiefer in die Eigenart des großen
Lichtmalers einzudringen. Für mich
steht es außer Zweifel fest, daß Tiepolo
seine sämtlichen Freskoschöpfungen
zuerst in dieser erwähnten Helldunkel-
manier, in mannigfachen, duftigen, silber-
grauen Tönen anlegte, und daß er dann
erst mittels zarter Lasuren an die farbige
Ausarbeitung seiner Komposition ging.
Nur auf diese Weise läßt es sich er-
klären, daß die Farbenskala des Meisters
gedämpft und gebrochen erscheint und
dennoch ihren vom Tageslicht erzeug-
ten Flimmer bewahrt. Tiepolo knüpfte
bei der Wiederaufnahme und Weiterbil-
dung dieser Malweise an die Traditionen
des Paolo Veronese an, bei dem zuerst
jene silbrigen Farbentöne auftreten. Und
später, als Tiepolo in den veneziani-
schen Provinzen ehrenvolle Aufträge in
Kirchen und Landhäusern auszuführen
hatte, ging ihm erst recht die reiche
Schönheitswelt Paolesker Kunst auf.
Besonders Paolos a fresco ausgeführte
Villenmalereien, von denen die kunst-
historische Forschung bisher erst
zum kleinsten Bruchteil Kenntnis ge-
nommen hat, mögen ihn begeistert
und zu ähnlichen Schöpfungen ange-
regt haben.
Selbst für seine sehr reizvollen und intimen
Ölgemälde schuf sich Tiepolo seine eigene
Technik, die ebenfalls bei Paolos Malweise
einsetzte und sie in individueller Weise weiter
entwickelte. Er malte zunächst mit Tempera-
farbe in jener erwähnten Chiaroscuro-Manier
die Komposition in flüchtigen, aber sprechen-
den Zügen auf die Leinwand und überging
sie dann erst mit zarten Lasuren in Ölfarbe.
Für diese Tatsache ist besonders ein in der
Pinakothek zu Treviso befindliches Bild,
Johannes der Täufer, der Menge predigend,
instruktiv. Es ist nämlich Skizze geblieben
und fast nur in verschiedenen Tönen einer
einzigen Farbe gefertigt. Aber mögen die
Linien noch so flüchtig und leise andeuten,
mögen die Schatten noch so duftig gegeben
sein, der Entwurf wirkt schon vollkommen
bildmäßig: In einer Gebirgswüste, die durch
einen fernen, schroffen Felsengrat, einige wild
zerzauste Wettertannen und eine verkümmerte
Pinie charakterisiert wird, lauscht eine dicht-
gedrängte Volksmenge mit reger Spannung
o o O o r ö