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SW HEILIGE GRÄBER DES 18. JAHRHUNDERTS
HEILIGE GRÄBER DES 18. JAHR-
HUNDERTS
Eine Skizze von DR. PH. M. HALM
I.
ieWechselbeziehungen der bildenden Kunst
und der Poesie im Mittelalter bis auf die
verborgensten Fäden klarzulegen, die Grenzen
der gegenseitigen Einflüsse sicher abzustecken,
die Priorität gewisser Neuerscheinungen für
diese oder jene nachzuweisen, ist seit Didron
(1836) und Mone (1841 u. 1846) eine Haupt-
aufgabe der christlichen Kunstforschung ge-
worden, aber trotz einer ansehnlichen Reihe
vortrefflicher Untersuchungen, als deren Auto-
ren nur einige wie Sepet, Durand, Kinkel,
Anton Springer, Karl Meyer und Paul Weber1)
genannt seien, hat diese Aufgabe noch keine
O . 7 O
endgültige Entscheidung zugunsten einer
p F. X. Kraus, Geschichte der christl. Kunst II, i,
S. 420 ff.
Seite allein gefunden, ja es gewinnt immer
mehr an Wahrscheinlichkeit, daß in diesem
Sinne die Frage nach der Priorität eine ent-
scheidende Antwort kaum finden wird. Sagt
doch Kinkel: Es gehen in Ausbildung sowohl
der antiken Mythen als der christlichen
Legenden Poesie und Bildkunst beständig
Hand in Hand, um d m Stoff mit immer neuen
und individuelleren Zügen auszustatten.*)
Kaum auf einem zweiten Gebiete dürfte sich
diese Behauptung so nachdrücklich bestätigt
finden als in einer Untersuchung über hl. Gräber
des Mittelalters. War das Grab in bildlicher
Gestalt zuerst vorhanden, und rankte sich um
dies erst das poetische Gebilde der Passions-
und Osterspiele, oder waren diese, dem Grab-
ritus der Kirche entspringend, die älteren Schöp-
fungen, die der Darstellung eines hl. Grabes
als eines der wichtigsten Requisiten bedurfte ?
Noch fehlt uns eine Kunstgeschichte der
hl. Gräber, wiewohl das Material ein reiches,
mannigfaltiges ist; die Abhandlungen über
die mittelalterlichen Oster- und Passionsspiele
aber gestatten keine Schlüsse, einen
Einfluß der Spiele auf die Verkörpe-
rung des Stoffes in der bildenden Kunst
als unabweisbar annehmen zu dürfen.
Nur in einem einzigen Falle hat Kinkel
den Beweis erbracht, daß eine rein
poetische Erfindung auch in einem Bild-
werk Ausdruck fand.2) Doch dieser
Fall scheint, bis jetzt wenigstens, ver-
einzelt zu sein.
Im Verlaufe des Mittelalters be-
schränkte sich die bildende Kunst dar-
auf, lediglich das Grab oder vielmehr
in den meisten Fällen die Grablegung
in lebensgroßer plastischer Darstellung
wiederzugeben, oder sie bildete mehr
oder weniger frei die Grabkapelle in
Jerusalem nach, und hier fanden denn
wohl auch zunächst die Osterspiele
statt, bis sie allmählich auf den Platz
vor die Kirche traten, wo eine eigene
p Gottfried Kinkel, Mosaik zur Kunstge-
schichte, S. 161 ff.
2) Es handelt sich um die Figur des Krä-
mers und Quacksalbers, auch Meister Ypokras
genannt, bei dem Magdalena für ihre Ver-
führungskünste Parfüm und Schminke, dann
aber die hl. Frauen Salben und Spezereien
kauften, eine Gestalt, die mehrfach in Oster-
spielen vorkommt. Diese lediglich 'der Phan-
tasie entsprungene Figur, ein possenhafter Ghar-
latan, fand nun auch in der bildenden Kunst
Eingang und zwar an dem allgemein bekannten
hl. Grab im Dome zu Konstanz. S. Der Doktor
Ypokras des deutschen Schauspiels in Wort und
Bild in »Jahrbücher des Vereins von Altertums-
freunden im Rheinlande«, 1877, S. 121.
EMIL CZECH MADONNA
Ausstellung des Albrecht Dürer-Vereins in Wien igoj
SW HEILIGE GRÄBER DES 18. JAHRHUNDERTS
HEILIGE GRÄBER DES 18. JAHR-
HUNDERTS
Eine Skizze von DR. PH. M. HALM
I.
ieWechselbeziehungen der bildenden Kunst
und der Poesie im Mittelalter bis auf die
verborgensten Fäden klarzulegen, die Grenzen
der gegenseitigen Einflüsse sicher abzustecken,
die Priorität gewisser Neuerscheinungen für
diese oder jene nachzuweisen, ist seit Didron
(1836) und Mone (1841 u. 1846) eine Haupt-
aufgabe der christlichen Kunstforschung ge-
worden, aber trotz einer ansehnlichen Reihe
vortrefflicher Untersuchungen, als deren Auto-
ren nur einige wie Sepet, Durand, Kinkel,
Anton Springer, Karl Meyer und Paul Weber1)
genannt seien, hat diese Aufgabe noch keine
O . 7 O
endgültige Entscheidung zugunsten einer
p F. X. Kraus, Geschichte der christl. Kunst II, i,
S. 420 ff.
Seite allein gefunden, ja es gewinnt immer
mehr an Wahrscheinlichkeit, daß in diesem
Sinne die Frage nach der Priorität eine ent-
scheidende Antwort kaum finden wird. Sagt
doch Kinkel: Es gehen in Ausbildung sowohl
der antiken Mythen als der christlichen
Legenden Poesie und Bildkunst beständig
Hand in Hand, um d m Stoff mit immer neuen
und individuelleren Zügen auszustatten.*)
Kaum auf einem zweiten Gebiete dürfte sich
diese Behauptung so nachdrücklich bestätigt
finden als in einer Untersuchung über hl. Gräber
des Mittelalters. War das Grab in bildlicher
Gestalt zuerst vorhanden, und rankte sich um
dies erst das poetische Gebilde der Passions-
und Osterspiele, oder waren diese, dem Grab-
ritus der Kirche entspringend, die älteren Schöp-
fungen, die der Darstellung eines hl. Grabes
als eines der wichtigsten Requisiten bedurfte ?
Noch fehlt uns eine Kunstgeschichte der
hl. Gräber, wiewohl das Material ein reiches,
mannigfaltiges ist; die Abhandlungen über
die mittelalterlichen Oster- und Passionsspiele
aber gestatten keine Schlüsse, einen
Einfluß der Spiele auf die Verkörpe-
rung des Stoffes in der bildenden Kunst
als unabweisbar annehmen zu dürfen.
Nur in einem einzigen Falle hat Kinkel
den Beweis erbracht, daß eine rein
poetische Erfindung auch in einem Bild-
werk Ausdruck fand.2) Doch dieser
Fall scheint, bis jetzt wenigstens, ver-
einzelt zu sein.
Im Verlaufe des Mittelalters be-
schränkte sich die bildende Kunst dar-
auf, lediglich das Grab oder vielmehr
in den meisten Fällen die Grablegung
in lebensgroßer plastischer Darstellung
wiederzugeben, oder sie bildete mehr
oder weniger frei die Grabkapelle in
Jerusalem nach, und hier fanden denn
wohl auch zunächst die Osterspiele
statt, bis sie allmählich auf den Platz
vor die Kirche traten, wo eine eigene
p Gottfried Kinkel, Mosaik zur Kunstge-
schichte, S. 161 ff.
2) Es handelt sich um die Figur des Krä-
mers und Quacksalbers, auch Meister Ypokras
genannt, bei dem Magdalena für ihre Ver-
führungskünste Parfüm und Schminke, dann
aber die hl. Frauen Salben und Spezereien
kauften, eine Gestalt, die mehrfach in Oster-
spielen vorkommt. Diese lediglich 'der Phan-
tasie entsprungene Figur, ein possenhafter Ghar-
latan, fand nun auch in der bildenden Kunst
Eingang und zwar an dem allgemein bekannten
hl. Grab im Dome zu Konstanz. S. Der Doktor
Ypokras des deutschen Schauspiels in Wort und
Bild in »Jahrbücher des Vereins von Altertums-
freunden im Rheinlande«, 1877, S. 121.
EMIL CZECH MADONNA
Ausstellung des Albrecht Dürer-Vereins in Wien igoj