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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 1.1904/​1905

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Voll, Karl: Der Genter Altar
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https://doi.org/10.11588/diglit.53156#0223

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HUBERT VAN EYCK
(vermutlich)


JAN VAN EYCK
(vermutlich)

DER GENTER ALTAR

Von Dr. KARL VOLL

Das 15. Jahrhundert hat eine Bewegung in
der Kunst der europäischen Völker her-
vorgerufen, die den mittelalterlichen Stil für
immer beseitigte, und da diese Bewegung bis
in den Beginn des 19. Jahrhunderts nachge-
zittert hat, so hat man sich gewöhnt, die
Kunsttätigkeit vom Beginn des 15. Jahrhun-
derts bis zur französischen Revolution mit
dem Sammelnamen der neueren Kunst zu be-
zeichnen. Man stellt diese Richtung, die als
die Basis des künstlerischen Schaffens das
mehr oder weniger intensive Studium der
sichtbaren Körperwelt betrachtet, der mittel-
alterlichen gegenüber, die — mit allerdings
sehr beachtenswerten Ausnahmen — das
Herausarbeiten der geistigen Stimmung als
erste Aufgabe betont. Auf den lyrischen Stil
folgte der epische.
In Bezug auf die Malerei ist die Zeit um
1420 entscheidend gewesen. Aber das erste
vollendete Kunstwerk der neueren Malerei
ist erst für 1432 datiert. Der Genter Altar
der Brüder van Eyck ist in jeder Hinsicht das
ehrwürdigste Denkmal dieses Umschwunges
in der Entwicklung der Malerei. Er steht an
ihrer Schwelle so imposant und großartig
wie die wuchtigen Pylonen vor den ägypti-
schen Tempeln.
Uber die Entstehungsgeschichte des Genter
Altars wissen wir nichts als was uns die auf
dem Rahmen angebrachte, erst im 19. Jahr-
hundert wiederentdeckte Inschrift lehrt. Sie
war in leoninischen Reimen abgefaßt, deren
Wortlaut, wie es scheint, schon von dem

Künstler, der sie auf den Rahmen gesetzt
hat, in der ersten Zeile insofern zerrüttet
wurde, als er zwischen der ersten und zwei-
ten Vershälfte den Familiennamen desjenigen
Malers, der den Altar begonnen hatte, ein-
fügte. Außerdem ist der Anfang der dritten
Zeile nicht voll erhalten, so daß wir einige
Worte ergänzen müssen. Hier folgt der Wort-
laut, wie ihn der gelehrte Kenner der mittel-
lateinischen Dichtkunst, Professor Traube
wiederherzustellen versucht hat.
Pictor Hubertus [e Eyck] maior quo nemo repertus,
Incepit pondusque Johannes arte secundus,
[Suscepit laetus] Judoci Vydt prece fretus
VersV seXta Mal CoLLoCat aCta tVerl.
Die Inschrift setzt den 6. Mai 1432 altei
Zählung als das Vollendungsdatum des Altares
fest. Als Stifter wird genannt Jodocus Vydt.
Dieser stammte aus einer angesehenen Genter
Familie, die jedoch nicht unter die Ersten
des stolzesten Gemeinwesens der Niederlande
gehörte. Aber durch seine Heirat mit Elisa-
bethe Burluut trat Josse Vydt in den Kreis
einer der bedeutendsten Familien von Gent
ein und durch deren Einfluß, wie auch offen-
bar durch seine persönliche Tüchtigkeit, stieg
er langsam zu den höchsten Ehrenstellen
empor, die ein Genter Bürger nur erlangen
konnte. Er ist schließlich sogar Oberbürger-
meister geworden und scheint ungeheuere
Reichtümer besessen zu haben. Noch nach
seinem Tode war sein Haus dasjenige, in dem
die fremden Fürstlichkeiten einlogiert wurden.
Josse Vydt und seine Gemahlin wurden in

Die christliche Kunst. 1. 9. 1. Juni 1905.

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