TIEPOLOS SCHLACHTENBILDER IN WIENER PRIVATBESITZ
rend der Signifer links in die Freiheit des weiten Raumes herausftürmt, wie rechts
Menfch und Tier in peinlicher Enge zufammengepfercht find, während der Tote mit
möglichft platjeinnehmender Bewegung des rechten Armes in der figurenentblößten Leere
des Vordergrundes fich breit macht. Ferner die weit getriebene kontrahierende Gegen-
überftellung von plaftifch und zeichnerifch detailliertem Vordergrund und dem malerifch
zufammengefaßten Hintergrund durch Annäherung der beiden Gründe. Auch diefes ift
an fich nichts neues. Wir finden es fchon auf den Schlachtenbildern Salvator Rofos
und feiner Nachfolger. Aber Tiepolo hat den Effekt zum äußerften gefteigert, indem
er unter Ausfchaltung des Mittelgrundes die ftiliftifch fo verfchieden behandelten Vor-
und Hintergründe unmittelbar hintereinander ftaffelt. Wie das Bild unter Nr. 4 in feiner
ganzen Kompofition nur auf Kontraftwirkung ausgeht, liegt auf der Hand. Es ift ein
lehrreiches Beifpiel wie die längft geübte Belebung durch Richtungsdivergenzen und
malerifche Differenzierungen hier zu einer brillanten Virtuofenleiftung gefteigert wird.
Aber damit ift das Gegenfä^liche auf dem Bilde nicht erfchöpft. Das tiepolefke Licht
auf dem Pferdekörper zehrt die Einzelheiten der Form auf, fo daß er mehr maffig
wirkt. Auch der niederfinkende Krieger wirkt als Maffe. Das verbindet die beiden.
Der feinere Kontraft beruht im lebendigen Willen des Pferdes und der bloßen Schwer-
kraft der toten Maffe des niederfinkenden Körpers. Derartige Gegenfätjlichkeiten fo
fcharf zu empfinden war dem Rokoko Vorbehalten, das durch feine höhere Senfitivität
zu neuen Darftellungswerten gelangte. Der ftürzende Krieger fällt auf die aufwärts-
ftehenden Knie des bereits Liegenden. Das wirkt peinlich unbequem. Auf Nr. 1 wird
das Pferd rechts durch die Fahnenftange beunruhigend eingeengt. Wenn es auf Nr. 2
dem pferdebändigenden Kriegsknecht nicht gelingt, die feurigen Roffe des Triumph-
wagens, von denen fich das mittlere fchon hochaufbäumt zurückzuhalten, fo wird un-
vermeidlich der Koloß des Triumphators über den Befiegten ihn zermalmend dahin-
rollen. Das find Proben jener prickelnden „Reizungen“, wie fie der Menfch des
Rokoko liebte. Daß auch die beiden anderen Bilder auf Kontraftwirkung komponiert
find, ift auf den erften Blick einleuchtend.
Der Graf Francesco Algarotti wurzelte in der antikiperenden römifch-bolognefifchen
Kunftanfchauung und hat recht abfällig über die Malerei des „secolo frullo“ geurteilt.
Auch den von uns hier behandelten Gefichtspunkt, die Sucht nach Kontraftwirkung, hat
er in feinem Saggio sopra la pittura als Fehler feiner zeitgenöffifchen Kunft getadelt:
„Cercano in ogni cosa delle opposizioni, le quali allora solo hanno virtü di piacere;
che nascono naturalmente dal soggetto, come le antitesi del discorso.“ Lefeteres ift
bei Raffaels Heliodor der Fall. Algarotti führt tadelnd einige Rezepte diefer Effekt-
hafcherei an und wir können zu feiner llluftrierung Fig. 5 und 4 heranziehen: „pon-
gono una figura in faccia ed una dappresso che volta in ischiena, a dei moti violenti
contra pongono delle attitudini stracche.“
20
rend der Signifer links in die Freiheit des weiten Raumes herausftürmt, wie rechts
Menfch und Tier in peinlicher Enge zufammengepfercht find, während der Tote mit
möglichft platjeinnehmender Bewegung des rechten Armes in der figurenentblößten Leere
des Vordergrundes fich breit macht. Ferner die weit getriebene kontrahierende Gegen-
überftellung von plaftifch und zeichnerifch detailliertem Vordergrund und dem malerifch
zufammengefaßten Hintergrund durch Annäherung der beiden Gründe. Auch diefes ift
an fich nichts neues. Wir finden es fchon auf den Schlachtenbildern Salvator Rofos
und feiner Nachfolger. Aber Tiepolo hat den Effekt zum äußerften gefteigert, indem
er unter Ausfchaltung des Mittelgrundes die ftiliftifch fo verfchieden behandelten Vor-
und Hintergründe unmittelbar hintereinander ftaffelt. Wie das Bild unter Nr. 4 in feiner
ganzen Kompofition nur auf Kontraftwirkung ausgeht, liegt auf der Hand. Es ift ein
lehrreiches Beifpiel wie die längft geübte Belebung durch Richtungsdivergenzen und
malerifche Differenzierungen hier zu einer brillanten Virtuofenleiftung gefteigert wird.
Aber damit ift das Gegenfä^liche auf dem Bilde nicht erfchöpft. Das tiepolefke Licht
auf dem Pferdekörper zehrt die Einzelheiten der Form auf, fo daß er mehr maffig
wirkt. Auch der niederfinkende Krieger wirkt als Maffe. Das verbindet die beiden.
Der feinere Kontraft beruht im lebendigen Willen des Pferdes und der bloßen Schwer-
kraft der toten Maffe des niederfinkenden Körpers. Derartige Gegenfätjlichkeiten fo
fcharf zu empfinden war dem Rokoko Vorbehalten, das durch feine höhere Senfitivität
zu neuen Darftellungswerten gelangte. Der ftürzende Krieger fällt auf die aufwärts-
ftehenden Knie des bereits Liegenden. Das wirkt peinlich unbequem. Auf Nr. 1 wird
das Pferd rechts durch die Fahnenftange beunruhigend eingeengt. Wenn es auf Nr. 2
dem pferdebändigenden Kriegsknecht nicht gelingt, die feurigen Roffe des Triumph-
wagens, von denen fich das mittlere fchon hochaufbäumt zurückzuhalten, fo wird un-
vermeidlich der Koloß des Triumphators über den Befiegten ihn zermalmend dahin-
rollen. Das find Proben jener prickelnden „Reizungen“, wie fie der Menfch des
Rokoko liebte. Daß auch die beiden anderen Bilder auf Kontraftwirkung komponiert
find, ift auf den erften Blick einleuchtend.
Der Graf Francesco Algarotti wurzelte in der antikiperenden römifch-bolognefifchen
Kunftanfchauung und hat recht abfällig über die Malerei des „secolo frullo“ geurteilt.
Auch den von uns hier behandelten Gefichtspunkt, die Sucht nach Kontraftwirkung, hat
er in feinem Saggio sopra la pittura als Fehler feiner zeitgenöffifchen Kunft getadelt:
„Cercano in ogni cosa delle opposizioni, le quali allora solo hanno virtü di piacere;
che nascono naturalmente dal soggetto, come le antitesi del discorso.“ Lefeteres ift
bei Raffaels Heliodor der Fall. Algarotti führt tadelnd einige Rezepte diefer Effekt-
hafcherei an und wir können zu feiner llluftrierung Fig. 5 und 4 heranziehen: „pon-
gono una figura in faccia ed una dappresso che volta in ischiena, a dei moti violenti
contra pongono delle attitudini stracche.“
20