LITERATUR
große Wurf an fich nicht berührt und man kann
nur hoffen, daß dem Meifter fortan mehr ähn-
liche monumentale Aufgaben befchieden fein
möchten. P. E. Küppers.
LITERATUR
NEUE KUNSTLITERÄTUR
DAS ITALIEN DES ROKOKO. Von Cafimir
von Chledowski. Äutorißerte Überfettung
aus dem Polnifchen von RofaSchapire. Mün-
chen 1915. Bei Georg Müller.
Diefer neuefte Band des gelehrten Hiftoriogra-
phen reiht fich nach Tendenz und Qualität den
auch in Deutfchland längft bekannt gewordenen
Werken des Verfaffers über Siena, Ferrara —
und vor allem den zulegt erfchienenen beiden
Bänden über Rom an. Und wie es immer das
Beftreben Chledowskis gewefen ift, die Zeit-
geschichte in einem breiten kulturgefchichtlichen
Rahmen darzuftellen, in dem die bildende Kunft
nur einen Bruchteil allgemeiner fchöngeiftiger
Lebensäußerungen bedeutet, fo ift auch das Buch
über das italienifche Rokoko weniger nach kunft-
gefdiichtlichen als vielmehr nach rein gefellfchaft-
lichen Gefichtspunkten orientiert. Man würde
deshalb den Charakter diefes neuen Bandes
fchärfer kennzeichnen können, wollte man
ihm in Anlehnung an die beiden Bände über
Rom (Band I. die Menfchen der Renaiffance,
Band II. Die Menfchen des Barocks) den Titel
geben: DIE MENSCHEN DES ROKOKOS. Denn
immer wieder fteht dem Verfaffer das Leben der
damaligen Gefellfchaft als eigentliches Thema vor
Äugen, abgewickelt an ihren prominenten lite-
rarifchen und künftlerifchen Erfcheinungen. Die
Kapitel, die in diefem Sinne in dem legten Werke
unter anderen einem Pietro Metaftafio — einem
Carlo Goldoni — den Brüdern Gozzi, einem
Cafanova — dem Älfieri, Canova, Ugo Foscolo
gewidmet find, find Äusfchnitte aus der all-
gemeinen dekadenten Gefellfchaftskultur des acht-
zehnten Jahrhunderts, die in Italien ihre legten
Höhepunkte gleichmäßig in Venedig und Rom
erlebt. Und in der Tat gelingt es dem oft leider
nur ein wenig zu redfeligen Autor, der mit Vor-
liebe die kleinen EpiToden aus Memoiren kokett
ausfpinnt, im ganzen doch ein Zeitbild von ab-
folutefter Prägnanz auszumalen, für das vor
allem der gebildete Laie dankbar fein wird.
Immer ift es einer der Hauptvorzüge des un-
gemein belefenen, aber doch auch nur feiten
kontrollierbaren Verfaffers, daß bei der Lek-
türe feiner Bücher niemals die Langeweile auf-
kommt. Er weiß den Stoff von innen heraus
zu beleben und wie ein routinierter Regiffeur
von Kapitel zu Kapitel in feiner künftlerifchen
Wirkung zu fteigern und dafür wird er nicht
zulegt auch der klugen Überfegerin zu danken
haben, die fich — wie es fcheint — famos auf
feine Eigenart eingeftellt hat. Trogdem ift es
verkehrt zu Tagen „Das Italien des Rokoko“ —
die Genetivform: heißt des Rokokos — wie fie
ähnlich des Barocks heißen muß. Da fich viele
unferer Gelehrten die gleiche fprachliche Unart
ähnlich angewöhnt, fei endlich mal mit Nachdruck
an die Logik unferer Sprachform und an den
feligen Duden erinnert. b.
EINE ITALIENISCHE REISE. Von Andre
Suares. Überfegt von Franz Blei. Leipzig 1914.
Verlag der weißen Bücher.
Diefes noch vor dem Kriegsausbruch erfchienene
Buch — das während und auch nach dem
Kriege auf dem deutfchen Büchermärkte kaum
denkbar ift — hat einen der geiftvollften Fran-
zofen der jüngften Literatur zum Verfaffer, deffen
Genie aber doch nicht ausreicht, Souverän im
Gefühl die nationalen Gegenfäge zweier Völker
auszufchalten, deren Kultur an Größe immer
gleichwertig nebeneinander beftand. Im Gegen-
teil: Suares ift zu fehr Nurfranzofe, um
nicht bei jeder fich darbietenden Gelegenheit dem
deutfchen Barbaren eins auszuwifchen. Schade
nur, daß er trog feinem Talent ein fchlechter
Hiftoriker ift, der den ungeheuren Einfluß des
Germanentums fpeziell auf die mittelalterliche
Kulturgefchichte Italiens einfach verneinen zu
können glaubt. Diefemehr menfchliche Schwäche
feines franzöfifchen Herzens fei ihm verziehen —
es bleibt an feinem Buche genug des Schönen,
der reftlos künftlerifchen Emotion, des feinfinnig-
ften Neuerlebens übrig, um es objektiv als eines
der beften rein literarifchen Werke über Italien
anzufprechen. Ein Meifter des Wortes hat fich
hier einem unvergleichlichen Neugeftalter uralter
Eindrücke zugefeilt. Jene feine, nur den Roma-
nen eigene Sinnlichkeit des Erlebens gibt diefen
Kapiteln über Verona, Mailand, Pavia, Cremona,
Padua, Ravenna, über Lionardo und fein Abend-
mahl, über den Colleone u. a. m. einen dichte-
rifchen Zauber, der in der Tat immer dem legten
Geheimnis künftlerifchen Werdens äußerft nahe
kommt. Dabei überrafcht zugleich die kunft-
hiftorifche Bildung, ohne die auch ein folches
von Künftlerkraft geftaltetes Buch Stückwerk
bliebe. Nicht als ein Werk, dem neue Erkennt-
niffe entftiegen, foll das Buch von Suares, dem
Deutfchenhaffer, hier angezeigt werden, fondern
als legter Ausdruck einer Geßnnung, die heute
mitten im großen Weltbrand manches erklärt,
was uns bis dahin verborgen geblieben war,
Als ich das Buch gerade in diefen Wochen wieder-
275
große Wurf an fich nicht berührt und man kann
nur hoffen, daß dem Meifter fortan mehr ähn-
liche monumentale Aufgaben befchieden fein
möchten. P. E. Küppers.
LITERATUR
NEUE KUNSTLITERÄTUR
DAS ITALIEN DES ROKOKO. Von Cafimir
von Chledowski. Äutorißerte Überfettung
aus dem Polnifchen von RofaSchapire. Mün-
chen 1915. Bei Georg Müller.
Diefer neuefte Band des gelehrten Hiftoriogra-
phen reiht fich nach Tendenz und Qualität den
auch in Deutfchland längft bekannt gewordenen
Werken des Verfaffers über Siena, Ferrara —
und vor allem den zulegt erfchienenen beiden
Bänden über Rom an. Und wie es immer das
Beftreben Chledowskis gewefen ift, die Zeit-
geschichte in einem breiten kulturgefchichtlichen
Rahmen darzuftellen, in dem die bildende Kunft
nur einen Bruchteil allgemeiner fchöngeiftiger
Lebensäußerungen bedeutet, fo ift auch das Buch
über das italienifche Rokoko weniger nach kunft-
gefdiichtlichen als vielmehr nach rein gefellfchaft-
lichen Gefichtspunkten orientiert. Man würde
deshalb den Charakter diefes neuen Bandes
fchärfer kennzeichnen können, wollte man
ihm in Anlehnung an die beiden Bände über
Rom (Band I. die Menfchen der Renaiffance,
Band II. Die Menfchen des Barocks) den Titel
geben: DIE MENSCHEN DES ROKOKOS. Denn
immer wieder fteht dem Verfaffer das Leben der
damaligen Gefellfchaft als eigentliches Thema vor
Äugen, abgewickelt an ihren prominenten lite-
rarifchen und künftlerifchen Erfcheinungen. Die
Kapitel, die in diefem Sinne in dem legten Werke
unter anderen einem Pietro Metaftafio — einem
Carlo Goldoni — den Brüdern Gozzi, einem
Cafanova — dem Älfieri, Canova, Ugo Foscolo
gewidmet find, find Äusfchnitte aus der all-
gemeinen dekadenten Gefellfchaftskultur des acht-
zehnten Jahrhunderts, die in Italien ihre legten
Höhepunkte gleichmäßig in Venedig und Rom
erlebt. Und in der Tat gelingt es dem oft leider
nur ein wenig zu redfeligen Autor, der mit Vor-
liebe die kleinen EpiToden aus Memoiren kokett
ausfpinnt, im ganzen doch ein Zeitbild von ab-
folutefter Prägnanz auszumalen, für das vor
allem der gebildete Laie dankbar fein wird.
Immer ift es einer der Hauptvorzüge des un-
gemein belefenen, aber doch auch nur feiten
kontrollierbaren Verfaffers, daß bei der Lek-
türe feiner Bücher niemals die Langeweile auf-
kommt. Er weiß den Stoff von innen heraus
zu beleben und wie ein routinierter Regiffeur
von Kapitel zu Kapitel in feiner künftlerifchen
Wirkung zu fteigern und dafür wird er nicht
zulegt auch der klugen Überfegerin zu danken
haben, die fich — wie es fcheint — famos auf
feine Eigenart eingeftellt hat. Trogdem ift es
verkehrt zu Tagen „Das Italien des Rokoko“ —
die Genetivform: heißt des Rokokos — wie fie
ähnlich des Barocks heißen muß. Da fich viele
unferer Gelehrten die gleiche fprachliche Unart
ähnlich angewöhnt, fei endlich mal mit Nachdruck
an die Logik unferer Sprachform und an den
feligen Duden erinnert. b.
EINE ITALIENISCHE REISE. Von Andre
Suares. Überfegt von Franz Blei. Leipzig 1914.
Verlag der weißen Bücher.
Diefes noch vor dem Kriegsausbruch erfchienene
Buch — das während und auch nach dem
Kriege auf dem deutfchen Büchermärkte kaum
denkbar ift — hat einen der geiftvollften Fran-
zofen der jüngften Literatur zum Verfaffer, deffen
Genie aber doch nicht ausreicht, Souverän im
Gefühl die nationalen Gegenfäge zweier Völker
auszufchalten, deren Kultur an Größe immer
gleichwertig nebeneinander beftand. Im Gegen-
teil: Suares ift zu fehr Nurfranzofe, um
nicht bei jeder fich darbietenden Gelegenheit dem
deutfchen Barbaren eins auszuwifchen. Schade
nur, daß er trog feinem Talent ein fchlechter
Hiftoriker ift, der den ungeheuren Einfluß des
Germanentums fpeziell auf die mittelalterliche
Kulturgefchichte Italiens einfach verneinen zu
können glaubt. Diefemehr menfchliche Schwäche
feines franzöfifchen Herzens fei ihm verziehen —
es bleibt an feinem Buche genug des Schönen,
der reftlos künftlerifchen Emotion, des feinfinnig-
ften Neuerlebens übrig, um es objektiv als eines
der beften rein literarifchen Werke über Italien
anzufprechen. Ein Meifter des Wortes hat fich
hier einem unvergleichlichen Neugeftalter uralter
Eindrücke zugefeilt. Jene feine, nur den Roma-
nen eigene Sinnlichkeit des Erlebens gibt diefen
Kapiteln über Verona, Mailand, Pavia, Cremona,
Padua, Ravenna, über Lionardo und fein Abend-
mahl, über den Colleone u. a. m. einen dichte-
rifchen Zauber, der in der Tat immer dem legten
Geheimnis künftlerifchen Werdens äußerft nahe
kommt. Dabei überrafcht zugleich die kunft-
hiftorifche Bildung, ohne die auch ein folches
von Künftlerkraft geftaltetes Buch Stückwerk
bliebe. Nicht als ein Werk, dem neue Erkennt-
niffe entftiegen, foll das Buch von Suares, dem
Deutfchenhaffer, hier angezeigt werden, fondern
als legter Ausdruck einer Geßnnung, die heute
mitten im großen Weltbrand manches erklärt,
was uns bis dahin verborgen geblieben war,
Als ich das Buch gerade in diefen Wochen wieder-
275