NEUERWERBUNGEN DES BREMER
KUNSTGEWERBEMUSEUMS
Mit 31 Abbildungen und einer farbigen Tafel Von LEO BÄLET
Das Gewerbemufeum in Bremen verfügt über einen jährlichen Änkaufsetat von ins-
gefamt 20000 Mark. Diefe Summe, die [ich z. B. das in jeder Beziehung überlegene
Königl. Landesgewerbemufeum in Stuttgart für eine einzige Renaiffance-Uhr oder das
Keftner-Mufeum in Hannover für eine einzige Zinnkanne leiftet, muß bei uns ausreichen zum
Ausbau fämtlicher Beftände. Wenn derVerfuch, im abgelaufenen Jahr mit diefen wirklich
befcheidenen Mitteln nicht nur dem Quantitätsgefühl maßgebender Perfönlichkeiten, fon-
dern auch dem Qualitätsgefühl einigermaßen gerecht zu werden, als nicht völlig miß-
glückt hingeftellt werden kann, fo ift das hauptfächlich dem günftigen Umftand zu
danken, daß die beften Stücke aus erfter Hand erworben werden konnten.
So ftammt das romanifche Kruzifix (Abb. 1) aus Bronze, mit Reften hellgelber
ftarker Feuervergoldung, aus dem Befiß des 1911 verftorbenen Direktors des Bremer
Gewerbemufeums, Profeffor Auguft Töpfer. Es ift ein charakteriftifches, jedenfalls
deutfches Beifpiel für den Typus: Chriftus regnans, wie Fr. Witte-Köln die mittelalter-
lichen Darftellungen des Gekreuzigten feinfinnig unterfcheidet. Der freiplaftifch, maffiv
gegoffene und zifelierte Corpus hängt nicht, fondern fteht vor dem Kreuz, die Füße
ohne Nagelfpuren ruhen nebeneinander auf dem Suppedaneum. Bruft und Rippen find
fcharf abgefeßt, die dünnen Arme geftreckt und die ausgebreiteten Hände, deren Daumen
parallel mit den Fingern laufen, feftgenagelt. Der fchöne Kopf mit den gefchloffenen
Augen, dem in der Mitte gefcheitelten und über die Ohren gekämmten Haar, dem
halblangen fpißen Bart, der die Unterlippe frei läßt, ift leicht nach der Seite gebogen.
Das vorne und an der Seite geraffte Lendentuch wird von Schleifenknoten gehalten.
Das Kreuz hat Balkenenden-Erweiterungen mit Rundfeheiben, in denen oben die Dextera
Dei, rechts und links Maria bzw. Johannes eingraviert find, während fich rückwärts
die Evangeliften-Symbole um das Lamm Gottes gruppieren. Die Kreuzesbalken felbft
weifen romanifche Rankenwerk-Verzierung auf.
Unfere mittelalterliche Abteilung konnte fich bis jeßt keiner Holzfkulpturen von
einiger Bedeutung rühmen, mit Ausnahme der Chorftuhlwangen aus dem Rathaufe.
Da fich keine Gelegenheit bot, gute norddeutfehe Arbeiten zu erwerben, glaubte der
Verwalter des Bremer Mufeums unbedingt zugreifen zu müffen, als Profeffor Ad.
Fremd-Stuttgart fich entfehloß, die beften Skulpturen feiner vor vielen Jahren zufammen-
gebrachten Sammlung zu veräußern. Die erfte Neuerwerbung ift eine lebensgroße
Madonnenftatue (Abb. 2) in rotem Gewand mit goldenem Gürtel und golddamasziertem
Mantel. Über den Kopf legt fich ein weißer Schleier, deffen Zipfel fich über der Bruft
drapieren. Obgleich beide Hände und das Jefuskind fehlen, ift die ganze Erfcheinung
durch den majeftätifchen Kopf, den herrlichen Faltenwurf und die ziemlich gut er-
haltene Polychromie von fo überrafchender Wirkung, daß man diefen Verluft kaum
empfindet. Die ovale volle Kopfform, der fchlanke, mit horizontalen Rillen verfehene
Hals, die Haarbehandlung, der prächtige Wurf des Schleiers (vgl. die Madonna der
Anbetung der Könige in Blaubeuren), die Parallelfalten des Gewandes (vgl. die Madonna
des Kaifer Friedrich-Mufeums in Berlin und des Maximilians-Mufeums in Augsburg)
zum Teil von dem in großen Faltenbuketts drapierten Mantel verdeckt, fcheinen dafür
zu fpredhen, daß diefe um 1480 entftandene Figur der angeblichen Werkftatt des
Gregor Erhärt in Ulm naheftand, was Dr. Demmler-Berlin mir in liebenswürdiger
Weife beftätigte.
Der Cicerone, VII. Jahrg., Heft 2
3
29
KUNSTGEWERBEMUSEUMS
Mit 31 Abbildungen und einer farbigen Tafel Von LEO BÄLET
Das Gewerbemufeum in Bremen verfügt über einen jährlichen Änkaufsetat von ins-
gefamt 20000 Mark. Diefe Summe, die [ich z. B. das in jeder Beziehung überlegene
Königl. Landesgewerbemufeum in Stuttgart für eine einzige Renaiffance-Uhr oder das
Keftner-Mufeum in Hannover für eine einzige Zinnkanne leiftet, muß bei uns ausreichen zum
Ausbau fämtlicher Beftände. Wenn derVerfuch, im abgelaufenen Jahr mit diefen wirklich
befcheidenen Mitteln nicht nur dem Quantitätsgefühl maßgebender Perfönlichkeiten, fon-
dern auch dem Qualitätsgefühl einigermaßen gerecht zu werden, als nicht völlig miß-
glückt hingeftellt werden kann, fo ift das hauptfächlich dem günftigen Umftand zu
danken, daß die beften Stücke aus erfter Hand erworben werden konnten.
So ftammt das romanifche Kruzifix (Abb. 1) aus Bronze, mit Reften hellgelber
ftarker Feuervergoldung, aus dem Befiß des 1911 verftorbenen Direktors des Bremer
Gewerbemufeums, Profeffor Auguft Töpfer. Es ift ein charakteriftifches, jedenfalls
deutfches Beifpiel für den Typus: Chriftus regnans, wie Fr. Witte-Köln die mittelalter-
lichen Darftellungen des Gekreuzigten feinfinnig unterfcheidet. Der freiplaftifch, maffiv
gegoffene und zifelierte Corpus hängt nicht, fondern fteht vor dem Kreuz, die Füße
ohne Nagelfpuren ruhen nebeneinander auf dem Suppedaneum. Bruft und Rippen find
fcharf abgefeßt, die dünnen Arme geftreckt und die ausgebreiteten Hände, deren Daumen
parallel mit den Fingern laufen, feftgenagelt. Der fchöne Kopf mit den gefchloffenen
Augen, dem in der Mitte gefcheitelten und über die Ohren gekämmten Haar, dem
halblangen fpißen Bart, der die Unterlippe frei läßt, ift leicht nach der Seite gebogen.
Das vorne und an der Seite geraffte Lendentuch wird von Schleifenknoten gehalten.
Das Kreuz hat Balkenenden-Erweiterungen mit Rundfeheiben, in denen oben die Dextera
Dei, rechts und links Maria bzw. Johannes eingraviert find, während fich rückwärts
die Evangeliften-Symbole um das Lamm Gottes gruppieren. Die Kreuzesbalken felbft
weifen romanifche Rankenwerk-Verzierung auf.
Unfere mittelalterliche Abteilung konnte fich bis jeßt keiner Holzfkulpturen von
einiger Bedeutung rühmen, mit Ausnahme der Chorftuhlwangen aus dem Rathaufe.
Da fich keine Gelegenheit bot, gute norddeutfehe Arbeiten zu erwerben, glaubte der
Verwalter des Bremer Mufeums unbedingt zugreifen zu müffen, als Profeffor Ad.
Fremd-Stuttgart fich entfehloß, die beften Skulpturen feiner vor vielen Jahren zufammen-
gebrachten Sammlung zu veräußern. Die erfte Neuerwerbung ift eine lebensgroße
Madonnenftatue (Abb. 2) in rotem Gewand mit goldenem Gürtel und golddamasziertem
Mantel. Über den Kopf legt fich ein weißer Schleier, deffen Zipfel fich über der Bruft
drapieren. Obgleich beide Hände und das Jefuskind fehlen, ift die ganze Erfcheinung
durch den majeftätifchen Kopf, den herrlichen Faltenwurf und die ziemlich gut er-
haltene Polychromie von fo überrafchender Wirkung, daß man diefen Verluft kaum
empfindet. Die ovale volle Kopfform, der fchlanke, mit horizontalen Rillen verfehene
Hals, die Haarbehandlung, der prächtige Wurf des Schleiers (vgl. die Madonna der
Anbetung der Könige in Blaubeuren), die Parallelfalten des Gewandes (vgl. die Madonna
des Kaifer Friedrich-Mufeums in Berlin und des Maximilians-Mufeums in Augsburg)
zum Teil von dem in großen Faltenbuketts drapierten Mantel verdeckt, fcheinen dafür
zu fpredhen, daß diefe um 1480 entftandene Figur der angeblichen Werkftatt des
Gregor Erhärt in Ulm naheftand, was Dr. Demmler-Berlin mir in liebenswürdiger
Weife beftätigte.
Der Cicerone, VII. Jahrg., Heft 2
3
29