Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 7.1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0124
DOI issue:
Heft 5/6
DOI article:West, Robert: Bernhard Hoetger und die Stilwandlung des 20. Jahrhunderts
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BERNHARD HOETGER UND DIE STILWANDLUNG DES 20. JAHRHUNDERTS
Äbb. 1. BERNHARD HOETGER, Panther am Eingangstor
fchaffen. Dante fprach bewußt von feinem „dolce ftil nuovo“, halb gedankenlos nennt
man ihn den Schöpfer der italienifchen Sprache. Giotto wich von aller byzantinifchen
Tradition ab und brachte das reale und bewegte Leben des Trecento auf feine Fresken.
Im 15. Jahrhundert begann das Studium der Anatomie und der Perfpektive zugleich
mit der Arbeit an der Verbefferung der Malmittel. Auch diefe Neuerer, Mafaccio und
Mafolino, Uccello, Mantegna (man denke nur an feinen grauenvollen, in der Verkürzung
gefehenen Chriftusleichnam), Pollajuolo zuletjt und Signorelli, find fogar heute noch
nur für den kunftgefchichtlich Informierten verftändlich. Sie fchufen neue Ausdrucks-
formen und fprachen in ihnen neue Gedanken aus. Anatomie und Perfpektive, das
bedeutete eine ganz neue Weltanfchauung und fie wurden, um diefe Weltanfchauung
künftlerifch reproduzieren zu können.
Heute wie damals ift eine neue Welt im Werden, eine neue Kultur, um welche
mit Blut und Tränen gerungen wird. Neues Sein erwächft unter uns, dem gegenüber
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Äbb. 1. BERNHARD HOETGER, Panther am Eingangstor
fchaffen. Dante fprach bewußt von feinem „dolce ftil nuovo“, halb gedankenlos nennt
man ihn den Schöpfer der italienifchen Sprache. Giotto wich von aller byzantinifchen
Tradition ab und brachte das reale und bewegte Leben des Trecento auf feine Fresken.
Im 15. Jahrhundert begann das Studium der Anatomie und der Perfpektive zugleich
mit der Arbeit an der Verbefferung der Malmittel. Auch diefe Neuerer, Mafaccio und
Mafolino, Uccello, Mantegna (man denke nur an feinen grauenvollen, in der Verkürzung
gefehenen Chriftusleichnam), Pollajuolo zuletjt und Signorelli, find fogar heute noch
nur für den kunftgefchichtlich Informierten verftändlich. Sie fchufen neue Ausdrucks-
formen und fprachen in ihnen neue Gedanken aus. Anatomie und Perfpektive, das
bedeutete eine ganz neue Weltanfchauung und fie wurden, um diefe Weltanfchauung
künftlerifch reproduzieren zu können.
Heute wie damals ift eine neue Welt im Werden, eine neue Kultur, um welche
mit Blut und Tränen gerungen wird. Neues Sein erwächft unter uns, dem gegenüber
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