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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 7.1915

DOI issue:
Heft 5/6
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West, Robert: Bernhard Hoetger und die Stilwandlung des 20. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0125

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BERNHARD HOETGER UND DIE STILWANDLUNG DES 20. JAHRHUNDERTS

Äbb. 2. BERNHARD HOETGER, Silberlöwe am Eingangstor

die alten Begriffe wie die alten Worte fadenfeheinig und verbraucht erfcheinen. Wir
felbft find andere Menfchen. Ein Übergangsftadium zu dem heute Werdenden war
die materialiftifche Weltanfchauung. Impreffionismus und Realismus in der Kunft wurden
zu Exponenten diefer Phafe. Heute ift der Materialismus überwunden, mit ihm der
impreffioniftifche Realismus. Unfer geiftiges Leben ftrebt nach der Gebundenheit des
Gefefees und der Mgftik des Tranfzendentalen. Bernhard Hoetger ift im Begriff die
künftlerifche Formel für diefe neue Weltanfchauung und die aus ihr refultierende neue
Kultur zu finden. Er hat fie bereits in zwei Werken zu klarem Ausdruck gebracht:
In „Schlaf“ und „Auferftehung“. Nun denn, angefichts diefer beiden Werke erhebe
ich für Bernhard Hoetger Anfpruch auf den gleichen Rang in der kunftgefchichtlichen
Bewertung wie für jene Neuerer und Anfänger eines neuen Stils in der Vergangenheit,
die Finder und Erfchaffer neuer Äusdrucksformen. Auf die oft gemachte Einwendung:
wozu eine Neuerung, das Alte ift ja gut, kann man nur durch den Hinweis auf
die faft phypologifche Notwendigkeit der Neuerung antworten. Das Symptom der
völligen Kraft und Gefundheit einer Epoche wird ftets in erfter Linie ihre Zeugungs-
fähigkeit fein.

Eine genaue Betrachtung der Hoetgerfchen Werke zeigt die Keime deffen, was
heute im Platanenhain als unerhört Neues zutage tritt, bereits in früheren Arbeiten
des Meifters, feit dem Jahre 1904, vorhanden. Aus diefem Jahre ftammt das knofpen-
hafte Köpfchen eines noch faft im Kindesalter gehenden Mädchens. Mit diefem Werk
hat fich der Künftler frei gemacht von dem Impreffionismus feiner früheren Arbeiten.
Wir fehen hier fchon die bewußte Wendung zur Gefchloffenheit des Umriffes, zur
ftrengen Form. Von hier aus geht die Entwicklung feiner Kunft ihren geraden
Weg. In diefem Werk war der Künftler vielleicht zum erftenmal ganz er felbft.

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