Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 7.1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0128
DOI Heft:
Heft 5/6
DOI Artikel:West, Robert: Bernhard Hoetger und die Stilwandlung des 20. Jahrhunderts
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BERNHARD HOETGER UND DIE STILWANDLUNG DES 20. JAHRHUNDERTS
Durch die bacchantifch zurück-
geworfenen Figuren wird die
Rückenlinie nach der Höhe zu
weiter gezogen, die Nüchternheit
der naturaliftifchen Plaftik wird
amplifiziert, eine größere Fülle
und Variation der Formen und
Linien ermöglicht. Die Brutalität
der Raubtiertypen wird poetifch
verklärt durch die wundervollen
Kindergeftalten, die wie mit ihnen
verwachfen erfcheinen. Zwifchen
den Pfeilern, die diefe gewaltigen
Werke tragen, tut [ich ein breiter
Weg auf der zwifchen Platanen
hineinführt zum Mittel- und Aus-
gangspunkt der ganzen Schöp-
fung: dem Brunnen. In drei Ge-
walten ift das Aufquillen des
Waffers und fein niedertauender
Segen verkörpert, drei Gewalten,
deren Silhouette fo fcharf ge-
zeichnet und in fo markige Linien
gezwungen ift, daß fie fchon von
weitem den Gedanken künden,
dem fie Ausdruck verleihen follen.
Hier hat der Künftler den Men-
fchenkörper, dem er fonft in faft
fcheuer Ehrfurcht naht, deffen
graden baumartig aufftrebenden
Wuchs fein künftlerifches Emp-
finden immer wieder befchäftigt,
mit herrifchem Eigenwillen unter
fein Gebot gezwungen. Diefe drei
Frauenleiber mußten ihm die Linien und den Rhythmus hergeben, deren er an diefer
Stelle bedurfte. Die Gruppe hat jene ergreifende Schönheit, welche den primitiven Werken
deutfcher Bildhauerkunft eignet, denn fie ift aus demfelben Geift des Unterordnens der
Materie unter den fchöpferifchen Willen des Künftlers geboren. In der Mitte fteht das
Waffer felbft, eine gerade aufgerichtete, die Arme hochhebende Frauengeftalt, rechts und
links von ihr ftreng fymmetrifch geordnet, zwei andere weibliche Geftalten mit Schalen
in den Händen, mit geneigten Köpfchen, wie dürftende Blumen die der Erquickung
des Taues harren. Die Gewandung fließt in fchweren, den Umriß der Geftalten feft
zufammenpreffenden Falten herab, die Gebärden find dem Rhythmus der Linien ftreng
untergeordnet und gerade dadurch wird die Sprache fo unendlich eindrucksvoll. Diefe
Geftalten find zeitlofe Typen, verfteinte Symbole für das Element des Waffers. Die
architektonifchen Details des Brunnenbeckens find zu faft nüchterner Einfachheit ftilifiert,
alles dient hier nur als Rahmen und Folie, für die große Gruppe der drei Frauen.
106
Abb. H. BERNHARD HOETGER, Krugträgerin
Durch die bacchantifch zurück-
geworfenen Figuren wird die
Rückenlinie nach der Höhe zu
weiter gezogen, die Nüchternheit
der naturaliftifchen Plaftik wird
amplifiziert, eine größere Fülle
und Variation der Formen und
Linien ermöglicht. Die Brutalität
der Raubtiertypen wird poetifch
verklärt durch die wundervollen
Kindergeftalten, die wie mit ihnen
verwachfen erfcheinen. Zwifchen
den Pfeilern, die diefe gewaltigen
Werke tragen, tut [ich ein breiter
Weg auf der zwifchen Platanen
hineinführt zum Mittel- und Aus-
gangspunkt der ganzen Schöp-
fung: dem Brunnen. In drei Ge-
walten ift das Aufquillen des
Waffers und fein niedertauender
Segen verkörpert, drei Gewalten,
deren Silhouette fo fcharf ge-
zeichnet und in fo markige Linien
gezwungen ift, daß fie fchon von
weitem den Gedanken künden,
dem fie Ausdruck verleihen follen.
Hier hat der Künftler den Men-
fchenkörper, dem er fonft in faft
fcheuer Ehrfurcht naht, deffen
graden baumartig aufftrebenden
Wuchs fein künftlerifches Emp-
finden immer wieder befchäftigt,
mit herrifchem Eigenwillen unter
fein Gebot gezwungen. Diefe drei
Frauenleiber mußten ihm die Linien und den Rhythmus hergeben, deren er an diefer
Stelle bedurfte. Die Gruppe hat jene ergreifende Schönheit, welche den primitiven Werken
deutfcher Bildhauerkunft eignet, denn fie ift aus demfelben Geift des Unterordnens der
Materie unter den fchöpferifchen Willen des Künftlers geboren. In der Mitte fteht das
Waffer felbft, eine gerade aufgerichtete, die Arme hochhebende Frauengeftalt, rechts und
links von ihr ftreng fymmetrifch geordnet, zwei andere weibliche Geftalten mit Schalen
in den Händen, mit geneigten Köpfchen, wie dürftende Blumen die der Erquickung
des Taues harren. Die Gewandung fließt in fchweren, den Umriß der Geftalten feft
zufammenpreffenden Falten herab, die Gebärden find dem Rhythmus der Linien ftreng
untergeordnet und gerade dadurch wird die Sprache fo unendlich eindrucksvoll. Diefe
Geftalten find zeitlofe Typen, verfteinte Symbole für das Element des Waffers. Die
architektonifchen Details des Brunnenbeckens find zu faft nüchterner Einfachheit ftilifiert,
alles dient hier nur als Rahmen und Folie, für die große Gruppe der drei Frauen.
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Abb. H. BERNHARD HOETGER, Krugträgerin