Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 7.1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0129
DOI Heft:
Heft 5/6
DOI Artikel:West, Robert: Bernhard Hoetger und die Stilwandlung des 20. Jahrhunderts
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BERNHARD HOETGER UND DIE STILWANDLUNG DES 20. JAHRHUNDERTS
Diefer kleine ef euumfponnene Brun-
nenraum ift ftimmungsvoll wie die
alten Brunnenmärchen der deut-
fchen Vergangenheit. Sieben Waf-
ferträgerinnen tragen in ihren Krü-
gen die köftliche Gabe des Waffers
den Hain hinab zum Hochzeits-
turm. Diefe Gewalten ftehen in
den grünen Nifchen, welche fich
zu beiden Seiten des Brunnens in
der Wand auftun. Lebende Mo-
delle hat Profeffor Hoetger für
jede einzelne gehabt, aber er
nahm nur das, was ihm in jeder
diefer Frauengeftalten für feinen
Zweck wefentlich fchien. Eine
priefterliche Weihe liegt überdiefen
ftillen Geftalten mit der Opfergabe
in ihren Händen. Sie wirken wie
die Heiligenfiguren in den Nifchen
gotifcher Kathedralen. Die ge-
fchloffene Maffe des Steines wird
nirgends durchbrochen. Das Zu-
fammengehaltene, Säulenartige in
den Geftalten verleiht ihnen einen
Ausdruck feelifchenlnfichverfunken-
feins, ein mimofenhaftes Zurück-
weichen vor der Außenwelt. Bei
einigen Figuren hat der Umriß
durch ftärkere Biegung und Knik-
kung etwas leicht Gotifierendes
erhalten, das zwar zur Charak-
terifierung diefer oder jener Weib-
wefenheit dient, aber weniger be-
wunderungswürdig erfcheint, wie die gelaffen müde Hoheit jener wundervollen
Priefterinnengeftalt, in deren Zügen wir unfehwer den Typus der edelfchönen Porträt-
büfte Frau von der Heydts erkennen. Am individuellen erfaßt ift vielleicht jene
Krugträgerin mit fchwarzem Haar und blauem Kleid, welcher Frau Tramm zum Vor-
bild gedient hat. Die Porträtbüfte diefer Dame gehört zu den fprühendft-lebendigen
Arbeiten Hoetgers. An Schärfe der Charakteriftik hat er bei diefem Kopf das
Äußerfte geleiftet, was bei einem Frauenkopf möglich ift, ohne den weiblichen Typus
zu opfern. Zu den feinften Geftalten unter den Krugträgerinnen gehört ferner die
jungfräuliche Figur, welche dem Relief des „Lebens“ zunächft fteht. Es liegt in
diefer Geftalt entgegen dem Gereiften, Wiffenden, das fich in Zügen und Linien der
übrigen Frauen kundgibt, ein rührender Ausdruck von Unfdiuld. Das Mädchenhafte
der Geftalt fcheidet fie ganz klar von dem Frauentum der anderen Krugträgerinnen.
Intereffant ift bei diefer Figur tedinifch vor allem die Haltung der Arme und Hände.
107
Äbb. 5. BERNHARD HOETGER, Krugträgerin
Diefer kleine ef euumfponnene Brun-
nenraum ift ftimmungsvoll wie die
alten Brunnenmärchen der deut-
fchen Vergangenheit. Sieben Waf-
ferträgerinnen tragen in ihren Krü-
gen die köftliche Gabe des Waffers
den Hain hinab zum Hochzeits-
turm. Diefe Gewalten ftehen in
den grünen Nifchen, welche fich
zu beiden Seiten des Brunnens in
der Wand auftun. Lebende Mo-
delle hat Profeffor Hoetger für
jede einzelne gehabt, aber er
nahm nur das, was ihm in jeder
diefer Frauengeftalten für feinen
Zweck wefentlich fchien. Eine
priefterliche Weihe liegt überdiefen
ftillen Geftalten mit der Opfergabe
in ihren Händen. Sie wirken wie
die Heiligenfiguren in den Nifchen
gotifcher Kathedralen. Die ge-
fchloffene Maffe des Steines wird
nirgends durchbrochen. Das Zu-
fammengehaltene, Säulenartige in
den Geftalten verleiht ihnen einen
Ausdruck feelifchenlnfichverfunken-
feins, ein mimofenhaftes Zurück-
weichen vor der Außenwelt. Bei
einigen Figuren hat der Umriß
durch ftärkere Biegung und Knik-
kung etwas leicht Gotifierendes
erhalten, das zwar zur Charak-
terifierung diefer oder jener Weib-
wefenheit dient, aber weniger be-
wunderungswürdig erfcheint, wie die gelaffen müde Hoheit jener wundervollen
Priefterinnengeftalt, in deren Zügen wir unfehwer den Typus der edelfchönen Porträt-
büfte Frau von der Heydts erkennen. Am individuellen erfaßt ift vielleicht jene
Krugträgerin mit fchwarzem Haar und blauem Kleid, welcher Frau Tramm zum Vor-
bild gedient hat. Die Porträtbüfte diefer Dame gehört zu den fprühendft-lebendigen
Arbeiten Hoetgers. An Schärfe der Charakteriftik hat er bei diefem Kopf das
Äußerfte geleiftet, was bei einem Frauenkopf möglich ift, ohne den weiblichen Typus
zu opfern. Zu den feinften Geftalten unter den Krugträgerinnen gehört ferner die
jungfräuliche Figur, welche dem Relief des „Lebens“ zunächft fteht. Es liegt in
diefer Geftalt entgegen dem Gereiften, Wiffenden, das fich in Zügen und Linien der
übrigen Frauen kundgibt, ein rührender Ausdruck von Unfdiuld. Das Mädchenhafte
der Geftalt fcheidet fie ganz klar von dem Frauentum der anderen Krugträgerinnen.
Intereffant ift bei diefer Figur tedinifch vor allem die Haltung der Arme und Hände.
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Äbb. 5. BERNHARD HOETGER, Krugträgerin