Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 7.1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0134
DOI issue:
Heft 5/6
DOI article:West, Robert: Bernhard Hoetger und die Stilwandlung des 20. Jahrhunderts
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BERNHARD HOETGER UND DIE STILWANDLUNG DES 20. JAHRHUNDERTS
Abb. 10. BERNHARD HOETGER, Relief „Der Sdilaf“
frei bleiben. So wachfen die ftehenden Aktfiguren fäulengleich empor, während die
kauernden wie von der Schwere der Gewandfalten am Erdboden feftgehalten fcheinen.
Im „Leben“ find die Frauengeftalten von einer gewiffen an Cranach erinnernden
eckigen Nacktheit. Die ftreng nach dem ornamentalen Schema geordneten Glieder
haben etwas Schüchternes, Verhaltenes. Mit unbewußter Ergebung fcheinen fie das
Gefel} des Lebens zu erfüllen. Die fitjenden Figuren halten Schalen frifchen Brunnen-
waffers in den Händen. In tiefen Zügen trinkt der Mann aus der feinigen. Hier find
die Wurzeln des Seins, trinkend, Nahrung faugend, oben die nackten aufrechten
Körper des fruchttragenden blühenden Lebens. Die Köpfe zeigen hier wie bei allen
übrigen Reliefs bäuerlich-primitive Typen.
Weniger ftraff in der Kompofition ift der „Frühling“. Hier find die Linien weicher,
die Gebärden haftiger und der Umriß der Geftalten erfcheint weniger gefchloffen.
Immerhin ift die Stimmung frühlingsartigen Quillens der Säfte, die quirlende Unraft
neuer Triebe gut zum Ausdruck gebracht.
In einer Linie mit dem „Leben“ fteht der „Schlaf", fo daß die Geftalt der fterben-
den Mutter mitten zwifchen Schlaf und Leben gefehen wird. Es gibt auf dem ganzen
Geßiet alter und neuer Plaftik kein einziges mir bekanntes Werk, welches das bleierne
Niederfinken des gliederlöfenden Schlafes zu folcher Anfchaulichkeit gebracht hat. Die
fchwarzhaarigen Köpfe der ftehenden Figuren find tief auf die Bruft herabgebogen,
die Augen gefchloffen. Das Motiv des zum Stützen des Kopfes erhobenen Armes
kehrt bei jeder einzelnen Figur wieder. Auf den Schultern einer jeden liegt ein
in fchweren geraden Falten herabfließender rotbrauner Mantel, der als wichtiges
Kompofitionselement zu feinfter dekorativer Wirkung verwendet ift. In ftrenger
Symmetrie bilden die Falten zweier fich berührender Mäntel die Nifchen für die dar-
unter kauernden, fich gewiffermaßen unter diefe Mäntel verkriechenden Figuren. Bei
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Abb. 10. BERNHARD HOETGER, Relief „Der Sdilaf“
frei bleiben. So wachfen die ftehenden Aktfiguren fäulengleich empor, während die
kauernden wie von der Schwere der Gewandfalten am Erdboden feftgehalten fcheinen.
Im „Leben“ find die Frauengeftalten von einer gewiffen an Cranach erinnernden
eckigen Nacktheit. Die ftreng nach dem ornamentalen Schema geordneten Glieder
haben etwas Schüchternes, Verhaltenes. Mit unbewußter Ergebung fcheinen fie das
Gefel} des Lebens zu erfüllen. Die fitjenden Figuren halten Schalen frifchen Brunnen-
waffers in den Händen. In tiefen Zügen trinkt der Mann aus der feinigen. Hier find
die Wurzeln des Seins, trinkend, Nahrung faugend, oben die nackten aufrechten
Körper des fruchttragenden blühenden Lebens. Die Köpfe zeigen hier wie bei allen
übrigen Reliefs bäuerlich-primitive Typen.
Weniger ftraff in der Kompofition ift der „Frühling“. Hier find die Linien weicher,
die Gebärden haftiger und der Umriß der Geftalten erfcheint weniger gefchloffen.
Immerhin ift die Stimmung frühlingsartigen Quillens der Säfte, die quirlende Unraft
neuer Triebe gut zum Ausdruck gebracht.
In einer Linie mit dem „Leben“ fteht der „Schlaf", fo daß die Geftalt der fterben-
den Mutter mitten zwifchen Schlaf und Leben gefehen wird. Es gibt auf dem ganzen
Geßiet alter und neuer Plaftik kein einziges mir bekanntes Werk, welches das bleierne
Niederfinken des gliederlöfenden Schlafes zu folcher Anfchaulichkeit gebracht hat. Die
fchwarzhaarigen Köpfe der ftehenden Figuren find tief auf die Bruft herabgebogen,
die Augen gefchloffen. Das Motiv des zum Stützen des Kopfes erhobenen Armes
kehrt bei jeder einzelnen Figur wieder. Auf den Schultern einer jeden liegt ein
in fchweren geraden Falten herabfließender rotbrauner Mantel, der als wichtiges
Kompofitionselement zu feinfter dekorativer Wirkung verwendet ift. In ftrenger
Symmetrie bilden die Falten zweier fich berührender Mäntel die Nifchen für die dar-
unter kauernden, fich gewiffermaßen unter diefe Mäntel verkriechenden Figuren. Bei
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