Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 7.1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0158
DOI Heft:
Heft 7/8
DOI Artikel:Singer, Hans Wolfgang: Ausstellung von Werken aus der Sammlung Czartoryski in Dresden
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AUSSTELLUNG VON WERKEN AUS DER SAMMLUNG CZARTORYSKI IN DRESDEN
unterfchiede reagiert als das bloße
Auge, zeigt, an einer Stelle wenig-
[tens, die Reproduktion die Über-
malung deutlicher als das Original.
Auf dem Bild felbft erftreckt fich
der Scheitel in ganz normaler Weife
nach hinten: auf der Reproduktion
hört diefe weiße Linie ganz plöt}-
lich auf, eben dort wo die Über-
malung einfejjt.
Der Übermaler hat nun auch das
Haar in fehr feltfamer, tatfächlich
wohl kaum durchführbarer Weife
unter das Kinn gezogen. Urfprüng-
lich wird fich das Haar mit der
Schleierkante zurück nach dem Ohr
verlaufen haben, fo daß die Haar-
tracht völlig jener der Parifer Fer-
roniere ähnelte. Bei der Über-
malung des fchwarzen Hintergrun-
des find manche Umriffe ftark
verfchlechtert worden und auch
innerhalb der Silhouette beftehen
noch manche weitere Übermalun-
gen, wenn auch einige im Karnat,
feitdem das Bild von Braun pho-
tographiert wurde, entfernt worden fein müffen. Man möchte fehnlichft wünfchen, daß
das Bildnis in feine urfprüngliche Geftalt zurückverfeßt werden könnte.
Die Hand und das Frettchen find ganz entzückend, wie überhaupt auch heute noch
der Eindruck, der vom Gemälde ausgeht, ganz ungewöhnlich ftark ift, und man, wenn
man lediglich nach der Qualität gehen dürfte, gern an Leonardo glauben würde.
Man geftatte mir noch ein Wort über das Bild im Zufammenhang mit der Belle
Ferroniere. In feinem großen Leonardo-Werk fpricht v. Seidlife diefe, nach Loefers
Vorgang, dem Boltrafpo zu, fagt aber, „die meiften Forfcher halten an Leonardo feft.
Und das läßt pch auch erklären aus der Vorzüglichkeit der Auffaffung wie der Durch-
führung“. Auf S. 272 erwähnt er nur kurz, daß dem Preda „die Keufchheit“ beim
Fürften Czartoryski in Krakau zuzufchreiben fei und beruft fich im allgemeinen auf
feine Preda-Ausführungen im Oefterr. Jahrbuch XXVI (über unfer Bild, S. 41). Rofen-
berg (a. a. O. Seite 55/6) lobt zwar die Ferroniere über den grünen Klee, meint aber
ganz merkwürdigerweife von unferem Bild, es fei eine „Kopie eines Mailänder Nach-
ahmers oder Schülers“ von Leonardo. Mir will es ganz undenkbar erfcheinen, daß
irgendein noch fo genialer Meifter, gefchweige denn ein Nachahmer oder Schüler,
diefes völlig neue Bild als Kopie nach der Ferroniere hätte fchaffen können: es ift
vielmehr unmittelbar nach dem lebenden Modell gemalt worden. Ebenfo pcher fcheint
es mir, daß beide Bilder nach demfelben Modell gemalt worden find. Man vergleiche
die Augen und Augendeckel, die etwas hohen Backenknochen, die Zeichnung des
Mundes und der Nafe. Anfcheinend ift das Krakauer Bild das einer etwas jüngeren
Abb.5. BARTHOLOMÄUS VAN DER HELST,
Bildnis eines Herrn
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unterfchiede reagiert als das bloße
Auge, zeigt, an einer Stelle wenig-
[tens, die Reproduktion die Über-
malung deutlicher als das Original.
Auf dem Bild felbft erftreckt fich
der Scheitel in ganz normaler Weife
nach hinten: auf der Reproduktion
hört diefe weiße Linie ganz plöt}-
lich auf, eben dort wo die Über-
malung einfejjt.
Der Übermaler hat nun auch das
Haar in fehr feltfamer, tatfächlich
wohl kaum durchführbarer Weife
unter das Kinn gezogen. Urfprüng-
lich wird fich das Haar mit der
Schleierkante zurück nach dem Ohr
verlaufen haben, fo daß die Haar-
tracht völlig jener der Parifer Fer-
roniere ähnelte. Bei der Über-
malung des fchwarzen Hintergrun-
des find manche Umriffe ftark
verfchlechtert worden und auch
innerhalb der Silhouette beftehen
noch manche weitere Übermalun-
gen, wenn auch einige im Karnat,
feitdem das Bild von Braun pho-
tographiert wurde, entfernt worden fein müffen. Man möchte fehnlichft wünfchen, daß
das Bildnis in feine urfprüngliche Geftalt zurückverfeßt werden könnte.
Die Hand und das Frettchen find ganz entzückend, wie überhaupt auch heute noch
der Eindruck, der vom Gemälde ausgeht, ganz ungewöhnlich ftark ift, und man, wenn
man lediglich nach der Qualität gehen dürfte, gern an Leonardo glauben würde.
Man geftatte mir noch ein Wort über das Bild im Zufammenhang mit der Belle
Ferroniere. In feinem großen Leonardo-Werk fpricht v. Seidlife diefe, nach Loefers
Vorgang, dem Boltrafpo zu, fagt aber, „die meiften Forfcher halten an Leonardo feft.
Und das läßt pch auch erklären aus der Vorzüglichkeit der Auffaffung wie der Durch-
führung“. Auf S. 272 erwähnt er nur kurz, daß dem Preda „die Keufchheit“ beim
Fürften Czartoryski in Krakau zuzufchreiben fei und beruft fich im allgemeinen auf
feine Preda-Ausführungen im Oefterr. Jahrbuch XXVI (über unfer Bild, S. 41). Rofen-
berg (a. a. O. Seite 55/6) lobt zwar die Ferroniere über den grünen Klee, meint aber
ganz merkwürdigerweife von unferem Bild, es fei eine „Kopie eines Mailänder Nach-
ahmers oder Schülers“ von Leonardo. Mir will es ganz undenkbar erfcheinen, daß
irgendein noch fo genialer Meifter, gefchweige denn ein Nachahmer oder Schüler,
diefes völlig neue Bild als Kopie nach der Ferroniere hätte fchaffen können: es ift
vielmehr unmittelbar nach dem lebenden Modell gemalt worden. Ebenfo pcher fcheint
es mir, daß beide Bilder nach demfelben Modell gemalt worden find. Man vergleiche
die Augen und Augendeckel, die etwas hohen Backenknochen, die Zeichnung des
Mundes und der Nafe. Anfcheinend ift das Krakauer Bild das einer etwas jüngeren
Abb.5. BARTHOLOMÄUS VAN DER HELST,
Bildnis eines Herrn
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