Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 7.1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0159
DOI Heft:
Heft 7/8
DOI Artikel:Singer, Hans Wolfgang: Ausstellung von Werken aus der Sammlung Czartoryski in Dresden
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AUSSTELLUNG VON WERKEN AUS DER SAMMLUNG CZARTORYSKI IN DRESDEN
Frau; das mag zum Teil herkom-
men von der Übermalung, die die
urfprünglichen Umriffe verdeckt hat
und den Eindruck des Schmächtigen
erweckt. Immerhin ift es nicht ein-
mal unwahrfcheinlich, daß beideGe-
mälde [o ziemlich hintereinander
entftanden find. Von lebenden Ma-
lern wenigftens habe ich fchon bald
nacheinander gemalte Bildniffe einer
und derfelben Perfon gefehen, die
bedeutend mehr voneinander ab-
wichen als diefe zwei. Hieraus er-
gäbe [ich der Wahrfcheinlichkeits-
fchluß, daß, ob von Leonardo, ob
von Boltraffio oder ob von da
Predis, beide Bildniffe von dem-
felben Maler herrühren. Hiergegen
fcheint mir, wenn ich mich mit
meiner Meinung hervorwagen darf,
auch ftilkritifch nichts zu fprechen,
foweit man nach dem übermalten
Original urteilen kann.
Das Raffaelfche Bildnis eines
jungenMannes (Abb.2 [öl auf Holz,
0,75:059,1808 von der FamilieGiu-
ftiniani in Venedig gekauft, früher
ebenfalls im „Gotifchen Haus“ zu Pulawy]) wird zwar nicht in dem Raffaelband
der Klaffiker der Kunft (1904) angeführt, ift aber doch fehr gut, fchon durch die
Braunfche Aufnahme, bekannt. Es ift das Bildnis, das van Dijck im Frühjahr oder
Sommer 1622 zu Venedig fah und das ihn fo f eff eite, daß er in fein Reifefkizzenbuch
eine flüchtige Graphiterinnerung daran zeichnete (fiehe Tafel XXXVII des Chatsworth
Skizzenbuchs, herausgegeben von Cuft, London 1902). Für mich ift das Befondere an
diefem Bild der Umftand, daß es eine fo ausgefprochene, bewußte koloriftifche Gefchmacks-
äußerung darftellt: es ift eine geradezu bezaubernde Harmonie in Braun. Der braun-
feidene, blaugefütterte Mantel, mit weichem, hellbraunem Pelz belegt, das braune Haar,
das ftark ins rötlichbraune abgewandelte Karnat und die durch ein leuchtendes Braun
aufgeheiterte, graue Rückwand verbinden fich zu einer wunderfchönen, warmen Stim-
mung, die durch die pikanten Gegenfätje der blaugrünen Landfchaft und der faft an
Vermeer gemahnenden Tifchdecke zufammengehalten wird. Auch die Temperierung des
Hemdärmelweiß trägt zur Abrundung diefes feinen Klangs bei. Das ift fehr frappie-
rend, da es fonft wohl mehr in der Zeit lag, fozufagen primitivere, reinere Naturfarben
zu verwenden, deren Hauptzweck war, die Zeichnung zu unterftü^en, indem fie ein-
fach die Gegenftände beffer voneinander abfeßen halfen. Auf dem Atlas des Mantels
find die Lichter in langen, forgfältigen Strichelungen, nicht flächig, aufgefefet.
Indem er ein Fenfter rechts hinter der Figur anbrachte, die Beleuchtung aber gerade von
der entgegengefefeten Ecke einfallen ließ, wollte der Maler uns vielleicht ganz befonders
Äbb. 6. JOSEPH GRASSI, Thaddeus Kosciusko
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Frau; das mag zum Teil herkom-
men von der Übermalung, die die
urfprünglichen Umriffe verdeckt hat
und den Eindruck des Schmächtigen
erweckt. Immerhin ift es nicht ein-
mal unwahrfcheinlich, daß beideGe-
mälde [o ziemlich hintereinander
entftanden find. Von lebenden Ma-
lern wenigftens habe ich fchon bald
nacheinander gemalte Bildniffe einer
und derfelben Perfon gefehen, die
bedeutend mehr voneinander ab-
wichen als diefe zwei. Hieraus er-
gäbe [ich der Wahrfcheinlichkeits-
fchluß, daß, ob von Leonardo, ob
von Boltraffio oder ob von da
Predis, beide Bildniffe von dem-
felben Maler herrühren. Hiergegen
fcheint mir, wenn ich mich mit
meiner Meinung hervorwagen darf,
auch ftilkritifch nichts zu fprechen,
foweit man nach dem übermalten
Original urteilen kann.
Das Raffaelfche Bildnis eines
jungenMannes (Abb.2 [öl auf Holz,
0,75:059,1808 von der FamilieGiu-
ftiniani in Venedig gekauft, früher
ebenfalls im „Gotifchen Haus“ zu Pulawy]) wird zwar nicht in dem Raffaelband
der Klaffiker der Kunft (1904) angeführt, ift aber doch fehr gut, fchon durch die
Braunfche Aufnahme, bekannt. Es ift das Bildnis, das van Dijck im Frühjahr oder
Sommer 1622 zu Venedig fah und das ihn fo f eff eite, daß er in fein Reifefkizzenbuch
eine flüchtige Graphiterinnerung daran zeichnete (fiehe Tafel XXXVII des Chatsworth
Skizzenbuchs, herausgegeben von Cuft, London 1902). Für mich ift das Befondere an
diefem Bild der Umftand, daß es eine fo ausgefprochene, bewußte koloriftifche Gefchmacks-
äußerung darftellt: es ift eine geradezu bezaubernde Harmonie in Braun. Der braun-
feidene, blaugefütterte Mantel, mit weichem, hellbraunem Pelz belegt, das braune Haar,
das ftark ins rötlichbraune abgewandelte Karnat und die durch ein leuchtendes Braun
aufgeheiterte, graue Rückwand verbinden fich zu einer wunderfchönen, warmen Stim-
mung, die durch die pikanten Gegenfätje der blaugrünen Landfchaft und der faft an
Vermeer gemahnenden Tifchdecke zufammengehalten wird. Auch die Temperierung des
Hemdärmelweiß trägt zur Abrundung diefes feinen Klangs bei. Das ift fehr frappie-
rend, da es fonft wohl mehr in der Zeit lag, fozufagen primitivere, reinere Naturfarben
zu verwenden, deren Hauptzweck war, die Zeichnung zu unterftü^en, indem fie ein-
fach die Gegenftände beffer voneinander abfeßen halfen. Auf dem Atlas des Mantels
find die Lichter in langen, forgfältigen Strichelungen, nicht flächig, aufgefefet.
Indem er ein Fenfter rechts hinter der Figur anbrachte, die Beleuchtung aber gerade von
der entgegengefefeten Ecke einfallen ließ, wollte der Maler uns vielleicht ganz befonders
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