Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 7.1915
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https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0164
DOI Heft:
Heft 7/8
DOI Artikel:Bombe, Walter: Uffizien-Zeichnungen
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UFFIZIEN-ZEICHNUNGEN
Äbb. 1. ANDREA DEL VERROCCHIO, Venus und Ämor, Uffizien, Handzeichnungsfammlung
Silberftift- und Federzeichnung
haben Unachtfamkeit und Unverftand der Menfchen viel wertvolles vernichtet. Diefes
für die älteren Meifter ungünftige Zahlenverhältnis des auf uns gekommenen Kunft-
gutes kommt auch in der offiziellen Publikation der Uffizien zum Ausdruck. Ein fo
erfindungsreicher Künftler wie Sandro Botticelli hat ficher viel gezeichnet, aber die
Uffizien befitjen von ihm auch nicht entfernt ein Zeichnungsmaterial, wie es z. B. das
Berliner Kupferftichkabinett in feinen Illuftrationen zu Dantes Göttlicher Komödie ihr
eigen nennt. Dafür geben die Blätter der Uffizien aber ein viel umfaffendes Bild
feiner Entwicklung von den Werken der Jugend bis zu den lebten Schöpfungen des
Greifenalters. Von feinen Zeitgenoffen Pollajuolo und Andrea del Verrocchio hat
Berenfon in den „Drawings of Florentine Painters“ eine Anzahl vorzüglicher Arbeiten
wiedergegeben. Pollajuolo ift von beiden der forgfältigere. Verrocchio hat in feinem
Blatte „Venus und Amor“ (Abb. 1) mit fchnellen Strichen den allgemeinen Formen-
eindruck fixiert und dann die Zeichnung ruhen laffen, während Pollajuolo mit feinen
und fcharfen Umrißlinien arbeitet und lediglich durch den Kontur die einzelne Form
fcharf und plaftifch herauszubringen fucht. Die harte, aber auch charaktervolle Art
feiner Formenwiedergabe in der mittleren Zeit feines Wirkens kommt vorzüglich zur
Geltung in dem hierneben abgebildeten Blatte (Abb. 2), einer Federzeichnung, die Eva
bei der Arbeit mit Kain und Abel als Kindern darftellt, einem würdigen Gegenftücke
zu der fuggeftiven Figur des Adam, der den fchmerzvollen Blick gen Himmel wendet.
Einen weit beträchtlicheren Raum, als diefe primitiven Florentiner nehmen die Meifter
Oberitaliens ein, beginnend mit Andrea Mantegna, von deffen urwüchfiger Linien-
kraft und Formenftrenge das hierneben abgebildete Blatt der Judith mit ihrer Magd
(Abb. 3) Zeugnis ablegt. Auf das Ernfte und Strenge geht auch Ercole Roberti
aus, von dem eine wenig bekannte Federzeichnung zu dem Predellenbilde der Ge-
fangennahme Chrifti, einem Teile jenes Altarwerkes aus S. Giovanni in Monte ab-
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Äbb. 1. ANDREA DEL VERROCCHIO, Venus und Ämor, Uffizien, Handzeichnungsfammlung
Silberftift- und Federzeichnung
haben Unachtfamkeit und Unverftand der Menfchen viel wertvolles vernichtet. Diefes
für die älteren Meifter ungünftige Zahlenverhältnis des auf uns gekommenen Kunft-
gutes kommt auch in der offiziellen Publikation der Uffizien zum Ausdruck. Ein fo
erfindungsreicher Künftler wie Sandro Botticelli hat ficher viel gezeichnet, aber die
Uffizien befitjen von ihm auch nicht entfernt ein Zeichnungsmaterial, wie es z. B. das
Berliner Kupferftichkabinett in feinen Illuftrationen zu Dantes Göttlicher Komödie ihr
eigen nennt. Dafür geben die Blätter der Uffizien aber ein viel umfaffendes Bild
feiner Entwicklung von den Werken der Jugend bis zu den lebten Schöpfungen des
Greifenalters. Von feinen Zeitgenoffen Pollajuolo und Andrea del Verrocchio hat
Berenfon in den „Drawings of Florentine Painters“ eine Anzahl vorzüglicher Arbeiten
wiedergegeben. Pollajuolo ift von beiden der forgfältigere. Verrocchio hat in feinem
Blatte „Venus und Amor“ (Abb. 1) mit fchnellen Strichen den allgemeinen Formen-
eindruck fixiert und dann die Zeichnung ruhen laffen, während Pollajuolo mit feinen
und fcharfen Umrißlinien arbeitet und lediglich durch den Kontur die einzelne Form
fcharf und plaftifch herauszubringen fucht. Die harte, aber auch charaktervolle Art
feiner Formenwiedergabe in der mittleren Zeit feines Wirkens kommt vorzüglich zur
Geltung in dem hierneben abgebildeten Blatte (Abb. 2), einer Federzeichnung, die Eva
bei der Arbeit mit Kain und Abel als Kindern darftellt, einem würdigen Gegenftücke
zu der fuggeftiven Figur des Adam, der den fchmerzvollen Blick gen Himmel wendet.
Einen weit beträchtlicheren Raum, als diefe primitiven Florentiner nehmen die Meifter
Oberitaliens ein, beginnend mit Andrea Mantegna, von deffen urwüchfiger Linien-
kraft und Formenftrenge das hierneben abgebildete Blatt der Judith mit ihrer Magd
(Abb. 3) Zeugnis ablegt. Auf das Ernfte und Strenge geht auch Ercole Roberti
aus, von dem eine wenig bekannte Federzeichnung zu dem Predellenbilde der Ge-
fangennahme Chrifti, einem Teile jenes Altarwerkes aus S. Giovanni in Monte ab-
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