Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 7.1915
Cite this page
Please cite this page by using the following URL/DOI:
https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0176
DOI issue:
Heft 7/8
DOI article:Bombe, Walter: Uffizien-Zeichnungen
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.26376#0176
UFFIZIEN-ZEICHNUNGEN
Schon Oscar Lcvertin hat
auf die Berührungspunkte
zwifchen den kleinen Blät-
tern Callots und den Riefen-
mafchinen des italienifchen
Barode hingewiefen, mit ihrem
„immer wachfenden, im tief-
ften Grunde pantheiftifchen
und fchwermütigen Gefühl
für die Poefie des Terrains,
der Landfchaft, der atmo-
fphärifchen Verhältniffe und
für die Hoheit der großen
Raumeinfaffungen, für all
das Umgebende und Dau-
ernde, gegen das das Men-
fchenleben klein, verfchwin-
dend und vergänglich er-
fdieint“. ln diefem Zufam-
menhange fei befonders des
Blattes der „Verfuchung des
heiligen Antonius“ gedacht,
auf dem ein ganzer Mikro-
kosmos von Dämonen und
Widerfachern feinen Kampf
mit dem frommen Einfiedler
der Thebaide ausficht. „Es
ift als lefe man in diefen
wunderbaren kleinen Bildern
zum erftenmal in der Ge-
fchichte der Kunft jene letjte
Weisheit der Weltauffaffung:
Mementote parvitatis, ihr menfchlichen Kämpfer und Komödianten! Euer Lebenskampf
ift der der Blattläufe, eure Dramen find die der Ameifen, eure Fefte der Tanz der
Stäubchen in dem erlöfchenden Sonnenftrahl!“
Callots Nachfolger, der Florentiner Stefano della Bella, der wohl der größte
italienifche Stecher feiner Zeit gewefen ift, gibt neben Darftellungen, die inhaltlich an
Callot anklingen, auch Bilder des gefellfchaftlichen und höfifchen Lebens feiner Zeit
und bietet in feinen Glorifikationen mehr oder minder imaginärer Herrfchertugenden
der Mitglieder des Haufes Habsburg-Lothringen den ganzen Apparat der klaffifchen
Mythologie auf. Wenn Della Bella auch in feiner Formenauffaffuug von Callot aus-
geht, namentlich in der Wiedergabe weiter Räume, in denen große Maffen von
kleinen Geftalten fich ergehen, und in dem großen Format feiner Vordergrundfiguren,
die riefenhaft wirken im Verhältnis zu denen des Hintergrundes, fo hat er doch feinen
eigenen malerifchen Stil, der die Einzelform durch leicht fließende, in den Schatten
verftärkte Linien geftaltet. Er ift ein Beobachter des Lebens, wie es wenige gegeben hat,
immer liebenswürdig, gefällig und geiftvoll, aber nie ein tiefgründiger Analytiker des
Abb. 14. JACQUES CALLOT, Studien Uffizien, Handzeichnungs-
zu mehreren Figuren der „Capricci“ fammiung
154
Schon Oscar Lcvertin hat
auf die Berührungspunkte
zwifchen den kleinen Blät-
tern Callots und den Riefen-
mafchinen des italienifchen
Barode hingewiefen, mit ihrem
„immer wachfenden, im tief-
ften Grunde pantheiftifchen
und fchwermütigen Gefühl
für die Poefie des Terrains,
der Landfchaft, der atmo-
fphärifchen Verhältniffe und
für die Hoheit der großen
Raumeinfaffungen, für all
das Umgebende und Dau-
ernde, gegen das das Men-
fchenleben klein, verfchwin-
dend und vergänglich er-
fdieint“. ln diefem Zufam-
menhange fei befonders des
Blattes der „Verfuchung des
heiligen Antonius“ gedacht,
auf dem ein ganzer Mikro-
kosmos von Dämonen und
Widerfachern feinen Kampf
mit dem frommen Einfiedler
der Thebaide ausficht. „Es
ift als lefe man in diefen
wunderbaren kleinen Bildern
zum erftenmal in der Ge-
fchichte der Kunft jene letjte
Weisheit der Weltauffaffung:
Mementote parvitatis, ihr menfchlichen Kämpfer und Komödianten! Euer Lebenskampf
ift der der Blattläufe, eure Dramen find die der Ameifen, eure Fefte der Tanz der
Stäubchen in dem erlöfchenden Sonnenftrahl!“
Callots Nachfolger, der Florentiner Stefano della Bella, der wohl der größte
italienifche Stecher feiner Zeit gewefen ift, gibt neben Darftellungen, die inhaltlich an
Callot anklingen, auch Bilder des gefellfchaftlichen und höfifchen Lebens feiner Zeit
und bietet in feinen Glorifikationen mehr oder minder imaginärer Herrfchertugenden
der Mitglieder des Haufes Habsburg-Lothringen den ganzen Apparat der klaffifchen
Mythologie auf. Wenn Della Bella auch in feiner Formenauffaffuug von Callot aus-
geht, namentlich in der Wiedergabe weiter Räume, in denen große Maffen von
kleinen Geftalten fich ergehen, und in dem großen Format feiner Vordergrundfiguren,
die riefenhaft wirken im Verhältnis zu denen des Hintergrundes, fo hat er doch feinen
eigenen malerifchen Stil, der die Einzelform durch leicht fließende, in den Schatten
verftärkte Linien geftaltet. Er ift ein Beobachter des Lebens, wie es wenige gegeben hat,
immer liebenswürdig, gefällig und geiftvoll, aber nie ein tiefgründiger Analytiker des
Abb. 14. JACQUES CALLOT, Studien Uffizien, Handzeichnungs-
zu mehreren Figuren der „Capricci“ fammiung
154